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Allgemeine Zahnheilkunde

Die zahnmedizinische Behandlung HIV-positiver Menschen

In vielen medizinischen Bereichen existieren immer noch Ängste und Unsicherheiten im Umgang mit HIV-positiven Menschen. So auch in Zahnarztpraxen. Gründe hierfür sind mangelhafte oder Falschinformationen über die Ansteckungsgefahr. Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) ist ein behülltes Virus, das zur Familie der Retroviren und zur Gattung der Lentiviren gehört. Eine unbehandelte HIV-Infektion führt nach einer unterschiedlich langen, meist mehrjährigen symptomfreien Latenzphase in der Regel zu AIDS (englisch acquired immunodeficiency syndrome‚ erworbenes Immundefizienzsyndrom). Über das Infektionsrisiko, die Früherkennung und das korrekte Behandlungsprocedere HIV-positiver Patienten wird nachfolgend informiert.

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Bis Ende 2018 stieg in Deutschland die Zahl der Menschen mit einer HIV-Infektion auf 87.900 an. Von diesen sind etwa 10.600 HIV-Infektionen noch nicht diagnostiziert [1]. Im Jahr 2018 wurden etwa 32% der HIV-Infektionen erst mit einem fortgeschrittenen Immundefekt und etwa 15% erst mit dem Vollbild AIDS diagnostiziert [1]. Diese Anteile zeigen sich seit dem Jahr 2005 konstant.

Infektionsrisiko im Rahmen einer zahnmedizinischen Behandlung

In der Zahnarztpraxis gelten für alle Patienten ohne Ausnahme hohe Hygienestandards. Hierbei stellen HIV-positive Patienten keine Ausnahme dar. Die Übertragung des HI-Virus erfolgt durch direkten Blutkontakt, ungeschützten Geschlechtsverkehr oder vertikal von Mutter zu Kind, wobei das Transmissionsrisiko durch die breit eingesetzte antiretrovirale Therapie (ART) und eine daraus folgende dauerhafte Virussuppression im Vergleich zu unbehandelten Patienten deutlich reduziert wurde bzw. eine Übertragung des HI-Virus in diesem Fall nach aktuellen Leitlinien als praktisch ausgeschlossen gilt. Ein direkter Kontakt mit Blut von Patienten sollte dennoch vermieden werden, unabhängig von einer bekannten oder unbekannten vorliegenden Infektion.

Nadelstichverletzungen stellen in der Zahnarztpraxis ein geringeres Risiko als in anderen medizinischen Einrichtungen dar, u.a. weil die verwendeten Kanülen, bspw. für eine Leitungsanästhesie, wesentlich kleinere Lumina haben. Bei antiretroviral behandelten Patienten (und somit der Mehrzahl der HIV-positiven Patienten) ist zudem die Viruskonzentration im Blut so niedrig, dass die Wahrscheinlichkeit der Übertragung auf Behandler oder Praxispersonal selbst bei Nadelstichverletzungen nahezu ausgeschlossen ist. Auch die bei der zahnärztlichen Behandlung entstehenden Aerosole sowie Speichel sind nicht geeignet, HI-Viren zu übertragen [2].

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Im Allgemeinen gilt, dass das Risiko einer HIV-Übertragung auf das Gesundheitspersonal äußerst gering ist. Bis zu diesem Zeitpunkt ist in der internationalen Literatur kein einziger Fall einer akzidentiellen Übertragung einer HIV-Infektion im Rahmen einer zahnärztlichen Behandlung beschrieben worden [2]. Somit stellt bei Einhaltung der Hygienevorschriften die Behandlung von HIV-positiven Patienten nach heutigem Wissensstand kein erhöhtes Infektionsrisiko für das Praxisteam dar. Folglich sollten HIV-positive Patienten in keinem Fall zum Ende der Sprechstunde einbestellt werden. Maßnahmen wie eine Verdoppelung der Schutzausrüstung, Desinfektion der gesamten Flächen im Raum einschließlich Fußboden und danach ein Betretungsverbot für diesen Raum für die Dauer von einer Stunde entbehren ebenso jeglicher wissenschaftlicher Grundlage.

Die Früherkennung einer HIV-Infektion

Tab. 1: Klassifikation HIV-bedingter oraler Erkrankungen 2008/2011 (OHARA). Dr. Dr. Schüttfort
Tab. 1: Klassifikation HIV-bedingter oraler Erkrankungen 2008/2011 (OHARA).

Durch die Verfügbarkeit und den konsequenten Einsatz der modernen antiretroviralen Therapie (ART) ist die Prävalenz HIV-assoziierter oraler Krankheitsbilder deutlich zurückgegangen. Bei unbehandelten HIV-positiven Patienten sind Haut- und Schleimhautveränderungen jedoch weiterhin häufig zu finden und geben in vielen Fällen auch den ersten Hinweis auf eine vorliegende HIV-Infektion. In der Mehrzahl der Fälle sind die Veränderungen an Haut und Schleimhaut infektiöser Natur und bedingt durch den assoziierten Immundefekt. Darüber hinaus findet sich auch bei einigen sexuell übertragbaren Erkrankungen („sexual transmitable disease/STI“), welche als Indikatorerkrankungen erste Hinweise auf eine vorliegende HIV-Infektion geben können, eine Beteiligung der Mundschleimhaut, bspw. im Rahmen eines Primäraffektes einer Syphilisinfektion. Einteilen lassen sich HIV-assoziierte orale Erkrankungen in Mykosen, Virusinfektionen, idiopathische Zustände, bakterielle Infektionen, Speicheldrüsenerkrankungen sowie Neoplasien (Tab. 1).

Da viele dieser Veränderungen mit einem eingeschränkten Immunstatus verbunden sind, wie er sich v.a. bei unbehandelten HIV-positiven Patienten findet, die in der Mehrzahl der Fälle nichts von ihrer HIV-Infektion wissen, kommt dem Zahnarzt/der Zahnärztin hier eine besonders wichtige Rolle im Rahmen der Frühdiagnostik einer HIV-Infektion zu. Die Symptome einer primären HIV-Infektion, wie bspw. Fieber, Müdigkeit oder Myalgie, sind von eher unspezifischem Charakter, wohingegen eine orale Candidiasis oder der Verdacht auf eine orale Haarleukoplakie, die durch weißliche, nicht abwischbare Veränderungen der Zungenränder charakterisiert ist, immer zur Verdachtsdiagnose HIV-Infektion führen müssen. Gleiches gilt für rezidivierende orale Aphthen oder das orale Kaposi-Sarkom. Bei Unsicherheit bzgl. der weiteren Diagnostik sollte frühzeitig eine Biopsie erfolgen bzw. gegebenenfalls die Überweisung zum Facharzt für Oralchirurgie oder Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie.

Bei Verdacht auf Indikatorerkrankung zum HIV-Test raten

Als mögliche Mundschleimhautveränderung bei einer unbehandelten HIV-Infektion kann ein orales Kaposi-Sarkom auftreten, welches als derb-elastischer Tumor mit bläulich-rötlicher Farbe imponiert. Es ist häufig am Gaumen lokalisiert und kann sowohl exophytisch wachsen (Abb. 1) als auch als plane Schleimhautveränderung auftreten (Abb. 2). Eine Biopsieentnahme ergibt in diesem Fall ein lymphozytäres Entzündungsinfiltrat und sichert in Kombination mit dem Nachweis von Humanem Herpes-Virus 8 (HHV8) in der Serologie oder PCR die Diagnose Kaposi-Sarkom. Die Behandlung des Kaposi-Sarkoms erfordert nur in seltenen Fällen eine spezielle Chemotherapie. In den meisten Fällen bilden sich die Haut-/Schleimhautveränderungen unter der Gabe der antiretroviralen Therapie und somit unter HI-Virussuppression zurück (Abb. 3). Auch rezidivierende Herpes-simplex-Infektionen an seltenen (auch intraoralen) Lokalisationen (Abb. 4) sollten zur Überweisung des Patienten an den Hausarzt bzw. zu einer Schwerpunktpraxis mit dem Verdacht auf eine Immundefizienz führen.

Abb. 1: Exophytisch wachsendes Kaposi-Sarkom Regio 27. Dr. Dr. Schüttfort
Abb. 1: Exophytisch wachsendes Kaposi-Sarkom Regio 27.
Abb. 2: Plane Mundschleimhautveränderung bei Kaposi-Sarkom im Bereich des harten Gaumens. Dr. Dr. Schüttfort
Abb. 2: Plane Mundschleimhautveränderung bei Kaposi-Sarkom im Bereich des harten Gaumens.
Abb. 3: Vollständige Rückbildung des vormals vorhandenen Kaposi-Sarkoms in Region 27. Dr. Dr. Schüttfort
Abb. 3: Vollständige Rückbildung des vormals vorhandenen Kaposi-Sarkoms in Region 27.
Abb. 4: Gruppierte Herpes-simplex-Effloreszenzen im Bereich des weichen Gaumens. Dr. Dr. Schüttfort
Abb. 4: Gruppierte Herpes-simplex-Effloreszenzen im Bereich des weichen Gaumens.

Jeder Patient mit einem suspekten intraoralen Befund und somit dem Verdacht auf eine HIV-Infektion sollte schnellstmöglich die Empfehlung erhalten, sich entweder bei seinem Hausarzt oder in einer HIV-Schwerpunktpraxis zur Durchführung eines HIV-Tests vorzustellen. Oftmals berichten zahnärztliche Kollegen über Ängste oder Unsicherheit vor der Reaktion des Patienten, wenn ein HIV-Test empfohlen wird. Die Realität zeigt jedoch, dass Patienten dankbar über eine umfassende Betreuung durch ihren Zahnarzt sind, der sich nicht allein mit zahnmedizinischen Fragestellungen befasst, sondern sich einem ganzheitlichen Behandlungskonzept verpflichtet fühlt. Dieses schließt auch mit ein, dass nicht nur intraorale Befunde aufgearbeitet werden, sondern auch extraorale Veränderungen umfassend abgeklärt werden. So kann es sich etwa bei einer submandibulären Schwellung um einen dentogenen Abszess handeln, ebenso ist es aber auch möglich, dass atypische Mykobakterien diesen Abszess aufgrund einer Immundefizienz bei unbekannter und somit unbehandelter HIV-Infektion verursacht haben (Abb. 5).

Abb. 5: Submandibulärer Abszess bei Infektion mit atypischen Mykobakterien. Dr. Dr. Schüttfort
Abb. 5: Submandibulärer Abszess bei Infektion mit atypischen Mykobakterien.

Moderne Zahnheilkunde auch für ältere Menschen mit HIV möglich

Aufgrund der Verfügbarkeit von sehr gut verträglichen antiretroviralen Therapien mit niedrigem Interaktionspotenzial und sehr gutem Nebenwirkungsprofil ist die Lebenserwartung vieler HIV-positiver Patienten inzwischen annähernd normal. Der Anteil der über 50-jährigen Patienten nimmt immer weiter zu, sodass in vermehrtem Umfang allgemeinmedizinische Fragestellungen in den Vordergrund rücken. Damit ergeben sich gleichzeitig auch neue zahnmedizinische Herausforderungen. Ebenso treten HIV-positive Patienten mit umfangreicheren Wünschen an den Zahnarzt heran. Die zahnmedizinische Betreuung HIV-positiver Patienten wird demnach in Zukunft in nahezu allen Gebieten eine noch größere Rolle spielen als bisher. Eine häufig gestellte Frage befasst sich mit der Möglichkeit der implantatgestützten prothetischen Versorgung: Besteht eine erhöhte Rate an Periimplantitis bei HIV-Betroffenen? Gibt es Unterschiede bei der Osseointegration im Vergleich zu Patienten ohne HIV-Befund?

Aktuell liegen zu diesem Thema prospektiv erhobene Daten sowie eine systematische Übersichtsarbeit vor [3,4]. Gherlone et al. untersuchten 68 HIV-positive Patienten, die insgesamt 194 Implantate erhielten. Die Nachbeobachtungszeit betrug 1 Jahr. Die Autoren konnten zeigen, dass es innerhalb der Nachbeobachtungszeit zu keiner erhöhten Rate an Implantatversagen sowie Periimplantitis kam. Ausschlaggebend für die Komplikationen zeigten sich dieselben Risikofaktoren wie bei HIV-negativen Patienten, wobei insbesondere starker Nikotinabusus zu einer erhöhten Rate an Implantatversagen sowie Periimplantitis führte.

Die CD4-Zellzahl lag bei allen Studienteilnehmern im Normbereich, sodass sich zu unbehandelten HIV-positiven Patienten mit eingeschränktem Immunsystem aktuell keine Aussagen treffen lassen [3]. In einer aktuellen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2018 wurden darüber hinaus die Daten von 169 HIV-positiven Patienten ausgewertet, die eine implantatgestützte prothetische Versorgung erhielten. Insgesamt wurden in diesen Arbeiten 493 Implantate eingesetzt, in den HIV-negativen Vergleichsgruppen erhielten 135 Patienten insgesamt 328 Implantate. Auch in dieser Auswertung zeigten sich keine Unterschiede bzgl. des Implantatversagens (94,76% vs. 93,81% Erfolgsrate) [4].

Die Autoren kommen übereinstimmend zu der Einschätzung, dass eine zahnmedizinische Versorgung mit Implantaten bei antiretroviral behandelten HIV-positiven Patienten mit einer CD4-Zellzahl im Normbereich (als Marker eines funktionsfähigen Immunsystems) in gleichem Maße durchgeführt werden kann wie bei Patienten mit negativem HIV-Befund. Risikofaktoren wie etwa Nikotinabusus und parodontale Vorerkrankungen müssen selbstverständlich in beiden Patientengruppen (mit und ohne HIV) gleichermaßen berücksichtigt werden.

Praktische Anleitung zur zahnärztlichen Behandlung von Menschen mit HIV

Antiretroviral erfolgreich behandelte HIV-positive Patienten stellen in der zahnärztlichen Praxis kein erhöhtes Infektionsrisiko dar. Eine theoretische Infektionsgefahr geht von Patienten aus, die nichts von ihrer HIV-Infektion wissen und somit diese nicht im Anamnesebogen angeben können und eine messbare Viruslast aufweisen. Durch die ohnehin geltenden hohen Hygienestandards in der Zahnarztpraxis sind für die zahnärztliche Behandlung HIV-positiver Patienten keine zusätzlichen Maßnahmen für Hygiene und Arbeitsschutz zu treffen [2]. Aus der Tatsache, dass jeder Patient als potenziell infektiös anzusehen ist, folgt die Konsequenz, dass Standardmaßnahmen der zahnärztlichen Behandlung konsequent bei jedem Patienten umzusetzen sind, ohne dass bei HIV-Infizierten spezielle Maßnahmen ergriffen werden müssen.

Standardmaßnahmen der Patientenbehandlung und Praxisorganisation (gilt für alle Patienten):

  • Das Tragen einer persönlichen Schutzausrüstung bestehend aus Einmalhandschuhen, Mund-Nasenschutz, Schutzbrille/Schutzschild und ggf. Schutzkittel, wenn die Gefahr des Verspritzens von Flüssigkeiten besteht
  • Sachgerechte Reinigung, Desinfektion und ggf. Sterilisation aller bei der Behandlung benutzter Medizinprodukte (Instrumente) gemäß ihrer Einstufung in Risikoklassen (RKI-Empfehlung, Hygieneplan)
  • Desinfektion der patientennahen Flächen nach der Behandlung
  • Entsorgung kontaminierter Abfälle wie z.B. Tupfer, OP-Abdeckungen, Watterollen o.ä. über den Hausmüll

Fazit

Es gilt festzuhalten, dass für HIV-positive Patienten weder ein eigener Behandlungsraum erforderlich ist noch diese am Ende eines Sprechtages zu behandeln sind. Die konsequente Umsetzung der oben genannten Standardmaßnahmen sollte eine vorurteilsfreie zahnmedizinische Behandlung aller Patienten ermöglichen und somit der Diskriminierung und Stigmatisierung von HIV-positiven Patienten im Gesundheitssystem wirksam entgegenwirken. Dies sollte unser gemeinsames Ziel sein.

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