Die Lehrmeinung zur Kariesexcavation und zu alternativen, minimalinvasiven Methoden

Das Erkennen und Behandeln einer kariösen Läsion sind Grundpfeiler der zahnmedizinischen Tätigkeit und Prophylaxe. Internationale Studien zeigen neue Methoden, minimalinvasive Defekte der Zahnhartsubstanz zu versorgen. Ein Fragebogen bezüglich der aktuellen Lehrmeinung zu den Themen Kariesexcavation und Versorgung kariöser Defekte wurde an zahnmedizinische Universitätskliniken (n = 34) versandt. Insgesamt antworteten 16 Hochschullehrer und es zeigte sich, dass die Excavation mit Hartmetall-Rosenbohrer und Handexcavator an den befragten Hochschulen mit 60 % am weitesten verbreitet ist, jedoch Methoden wie die Fluorescence-aided caries excavation (FACE) und Einsatz selbstlimitierender Polymerbohrer ebenso genutzt werden. Eine einheitliche Linie ist noch nicht ersichtlich, doch der Trend zu einer minimalinvasiven Kariesentfernung besteht.
Es gab lange Zeit verschiedene Theorien zur Entstehung kariöser Defekte, doch ist heute die chemoparasitäre Theorie nach Miller et al., zuerst beschrieben im Jahre 1890, allgemein akzeptiert [17]. Nach dieser Theorie kommt es stufenweise zu einem Zahnhartsubstanzverlust, der durch verschiedene pathogene Mikroorganismen, insbesondere eine Infektion pathogener Keime wie Streptococcus mutans, verursacht wird. Mehrere Versuche mit gnotobiologischen Versuchstieren konnten belegen, dass eine einseitige kohlenhydrathaltige Kost nur bei Trägern einer Streptococcus-mutans-Infektion zu kariösen Läsionen führte [16,10,11]. Aufgrund dieser Ergebnisse wurde Karies als übertragbare Infektion angesehen und die spezifische Plaquehypothese entstand, was die Zahnmedizin und Prophylaxe wesentlich veränderte [30]. So wurde in Anlehnung an klassische Infektionskrankheiten empfohlen, den Kontakt mit dem Erreger zu vermeiden [29]. Andererseits gab es auch Personen mit einer Streptococcus-mutans-Infektion, jedoch klinisch kariesfreier Dentition [9,21]. Dies führte zur Entwicklung der ökologischen Plaquehypothese, die besagt, dass der Nachweis kariogener Mikroorganismen ein notwendiger, jedoch nicht hinreichender Faktor für die Entstehung einer Karies ist.
Die Infektion mit bestimmten Mikroorganismen steht nicht mehr im Vordergrund, sondern eine Störung der Homöostase der oralen Mikroflora [20]. Die Wiederherstellung eines physiologischen Gleichgewichtes steht nun im Fokus der Prophylaxemaßnahmen. Nach diesen Erkenntnissen ist auch eine vollständige Kariesexcavation infizierten Dentins infrage zu stellen, da eine Unterbindung der Nahrungszufuhr ausreichend für eine Kontrolle der Läsion erscheint.
Entstehung und Progression von Karies
Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand scheint die ökologische Plaquehypothese am weitesten akzeptiert und belegt, des Weiteren wird die Ätiologie der Karies in verschiedenen Modellen und Schemata beschrieben [2,18]. In einem ersten Schritt produzieren diese Mikroorganismen Säuren, welche zu einer Demineralisation der Zahnhartsubstanz führen und es ermöglichen, dass weitere Bakterienarten in die Läsion eindringen können. Im zweiten Schritt lösen eingedrungene Bakterien die organischen Substanzen des Hartgewebes auf und die profunde kariöse Läsion des Dentins entsteht. Angesichts dieser Erkenntnisse sollte das Ziel einer Excavation die weitestgehende Entfernung aller Mikroorganismen sein. Bei dentogener Karies handelt es sich um eine atypische Infektionskrankheit. Kariöse Läsionen entstehen durch ein Ungleichgewicht zwischen Demineralisation und Remineralisation der Zahnhartsubstanz, welche in Schmelzläsionen enden. Streptococcus mutans besitzt spezifische Virulenzfaktoren, die als Hauptursachen für die Entstehung einer initialen Läsion gesehen werden. So bildet er aus der in Nahrung enthaltenden Saccharose extrazelluläre Glucane, mit deren Hilfe ein Biofilm auf der Zahnhartsubstanz etabliert werden kann. Des Weiteren produziert diese Bakterienart im Rahmen ihres Energiestoffwechsels Lactat, welches zu einer Minderung des pH-Wertes führt und somit die Demineralisation fördert. Insgesamt kann es im Zusammenspiel von speziellen Wirtsfaktoren wie Mineralisationsgehalt des Schmelzes, Speichelzusammensetzung, Plaque, Anwesenheit kariogener Bakterien, Verfügbarkeit niedermolekularer Kohlenhydrate und ausreichender Zeit zu einer initialen Schmelzläsion kommen [4].
Wissenschaftliche Bewertung der verschiedenen Therapie- Methoden
Routinemäßig wird mittels Hartmetall- Rosenbohrern excaviert, bis „sondenhartes“ Dentin erreicht wird (Abb. 1 u. 2). In der Forschung gibt es jedoch die klare Tendenz, weniger invasiv zu excavieren, mit dem Ziel, möglichst viel gesunde Zahnhartsubstanz zu erhalten. Der aktuelle Ansatz ist somit die Entfernung des kariös infizierten Dentins unter Belassung des kariös veränderten Dentins [19]. Diese beiden Begriffe müssen sorgfältig differenziert werden. Untersuchungen konnten eindeutig zeigen, dass durch Hartmetall-Rosenbohrer oft mehr gesundes Dentin abgetragen wird als notwendig [6,8]. Neben der vollständigen Kariesexcavation in einer Sitzung werden zweizeitiges Vorgehen sowie das generelle Belassen von punktuellen Erweichungen in Pulpennähe diskutiert, immer mit dem Ziel der Vitalerhaltung des Zahnes. Eine endodontische Behandlung des Zahnes würde die Prognose des Zahnes verschlechtern und es konnte gezeigt werden, dass eine vollständige Excavation die Progression der Infektion noch begünstigen kann [3]. Demgegenüber stehen verschiedene Studienergebnisse, ob verminderte Haftwerte der Dentinadhäsive an kariös verändertem Dentin Einfluss auf die Überlebensrate der Zähne haben und welche Therapieform am kostengünstigsten erscheint [7,26,28]. Ein systematischer Review kommt zu dem Ergebnis, dass eine einzeitige inkomplette Kariesentfernung am wenigsten klinische Komplikationen aufweist, doch müssen weitere Studien dieses Ergebnis bestätigen [27]. Bei Milchzähnen wird diese Methode bevorzugt, da die Behandlungszeit minimiert wird und die Komplikationsraten ähnlich der einer kompletten einzeitigen Excavation sind [12].
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Abb. 1: Stark kariöse Kaufläche an Zahn 47.
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Abb. 2: „Klassische“ Excavation mittels Hartmetall-Rosenbohrer.
So entstanden selbstlimitierende Polymerrosenbohrer (Smart-Prep/Smartbur SS White, Lakewood, NJ, USA), die mit einer Knoophärte von ca. 50 zwischen der Knoophärte infizierten Dentins (0–30) und der gesunden Dentins (70–90) liegen. Ziel ist eine selektive Entfernung kariösen Dentins, während gesundes Dentin intakt bleibt (Abb. 3 u. 4). Diese Kunststoffinstrumente nutzen sich bei Kontakt mit gesundem Dentin sofort ab, was zum einen eine Excavation vom zentralen zum peripheren Bereich der Läsion verlangt und zum anderen bedeutet, dass es sich hierbei um Instrumente zum einmaligen Gebrauch handelt. Studien konnten zeigen, dass die Haftwerte verschiedener Dentinadhäsive an excavierten Zähnen mittels SmartPrep zum Teil signifikant niedriger waren als herkömmlich excavierte Zähne. Dies könnte unter anderem an den planmäßig verbliebenen, kariös veränderten Dentinarrealen liegen, die einen geringeren Haftverbund mit Dentinadhäsiven aufweisen [7]. Auch wurde histologisch signifikant häufiger eine Restkaries detektiert [24]. Inzwischen wurde die Schneidekonfiguration verändert und das Produkt unter dem Namen SmartBur vertrieben. Weiterentwicklungen sind der SmartBur II (SS White) und der Polybur (Komet, Gebr. Brasseler, Lemgo). Erste Studien zeigen, dass der Erfolg der Kariesexcavation mithilfe der neuen Instrumente gleichzusetzen ist mit der Excavation mittels Rosenbohrer, doch weiterführerde Studien müssen diese Ergebnisse bestätigen [15,19].
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Abb. 3: Insuffiziente Amalgamfüllung an Zahn 16 mit Verdacht auf Karies auch in der Tiefe.
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Abb. 4: Der mit dem selbstlimitierenden Polybur excavierte und für eine adhäsive Teilkrone präparierte Zahn 16.
Eine weitere Behandlungsmethode ist die Kariesinfiltration, die initiale Läsionen an Glattflächen und approximal durch Konditionierung der Zahnhartsubstanz und anschließendem Versiegeln mittels niedrig viskösem Kompositmaterial stoppt. Hierdurch wird eine Diffusionsbarriere geschaffen und die Initialläsion kann nicht weiter voranschreiten [1,23,25].
Ein hierfür erhältliches Produkt ist ICON (DMG, Hamburg, Germany). Dieses Produkt ist jedoch nur bis zu einer Ausdehnung der kariösen Läsion bis ins erste Dentindrittel geeignet (D1) und an noch intakte Oberflächen ohne sondierbare Kavitationen gebunden.
Bereits 1976 wurde das erste System zur chemomechanischen Exkavation vorgestellt. Da dies klinisch nicht überzeugen konnte, folgte 1997 Carisolv (MediTeam, Göteborg, Schweden). Die Zusammensetzung wurde 2002 nochmals verändert, um die Gesamtbehandlungsdauer abzukürzen. Das aus den Aminosäuren Leucin, Lysin und Glutaminsäure sowie aus Natriumhypochlorid bestehende Carisolv löst selektiv lediglich die äußere Schicht der Dentinkaries auf, die dann mit speziellen Handinstrumenten entfernt werden muss. Hinsichtlich der Effektivität scheint die herkömmliche Excavation mittels Rosenbohrer überlegen und signifikant schneller, doch gerade bei der Behandlung von Kindern zeigen sich die Vorteile der chemomechanischen Excavation [20]. Ein Problem scheint bei der chemomechanischen Excavation die vollständige Kariesentfernung an der Schmelz- Dentin-Grenze zu sein. Cederlund et al. konnten 1999 in einer In-vitro-Studie Kariesfreiheit an der Dentinoberfläche feststellen, jedoch nur bei 40 % der Fälle im Bereich des Manteldentins [5]. Der Hersteller des Polybur (Komet) empfiehlt die Kombination der Carisolv-Methode mit dem selbstlimitierenden Polybur zur Beschleunigung der Behandlung.
Eine diagnostische Unterstützung bei der minimalinvasiven Kariesentfernung stellt die FACE-Technik (Fluorescence-aided caries excavation) dar. Hierbei werden Fluoreszenzeigenschaften von Porphyrinen genutzt. Diese entstehen im Rahmen der kariösen Zersetzung der Zahnhartsubstanz. Dem Behandler wird mittels Fluoreszenz direkt eine Rückmeldung gegeben, ob noch kariöse Zahnhartsubstanz vorhanden ist (rot fluoreszierende Bereiche) oder ob alle Bereiche kariesfrei vorliegen (grün fluoreszierende Bereiche) [13]. Im Vergleich zur chemomechanischen Excavation, lasergestützten Excavation und konventioneller Excavation konnte gezeigt werden, dass die Anwendung der FACE-Technik ebenso effektiv ist wie die getesteten Methoden [31]. Eine Studie von Neves et al. konnte im Vergleich aller Methoden der Kariesexcavation zeigen, dass die chemomechanische Methode am besten dazu geeignet ist, selektiv Karies zu entfernen [22], jedoch am schlechtesten abschneidet, wenn die Dauer der Behandlung in den Mittelpunkt tritt.
Fragebogenaktion zum aktuellen Stand der Lehrmeinung zum Thema Kariesexcavation
In Anbetracht dieser Vielfalt an Möglichkeiten wundert es nicht, dass sich die Lehrmeinung an deutschen Hochschulen für Zahnmedizin merklich unterscheidet und in gewisser Weise somit den allgemeinen Trend widerspiegelt. Um die aktuelle Lehrmeinung aufzuzeigen, wurden alle Hochschulen (n = 34) angeschrieben und gebeten, einen Fragebogen bezüglich der Kariesexcavation, Überkappung und benutzter Instrumente bei Milchzähnen und bleibenden Zähnen auszufüllen und zurückzusenden. 16 Hochschulen antworteten und die Fragebögen wurden mittels SPSS 22 (IBM, Armonk, North Castle, USA) ausgewertet.
Die Befragung der Hochschullehrer ergab, dass über 56 % der Universitäten die Lehrmeinung vertreten, dass infiziertes Dentin visuell und mittels Sondenprobe auf Pathogenität zu prüfen ist. Etwa ein Drittel der Universitäten benutzten zusätzlich Kariesindikatoren, etwa 12 % der befragten Lehrenden gaben an, FACE (Fluorescence-aided caries excavation) zusätzlich zu verwenden (Abb. 5).
Bei der Kariesexcavation wird nur von etwa 30 % der Hochschullehrer für Zahnerhaltung angegeben, dass das Dentin weiß und sondenhart erscheinen muss. Die restlichen Hochschulen lehren, dass punktuell erweichtes Dentin belassen werden kann, falls dadurch eine Eröffnung der Pulpa vermieden werden könnte (Abb. 6).
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Abb. 5.: Bevorzugte Kariesdetektion der deutschen Hochschulen im Milchgebiss sowie zweiter Dentition.
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Abb. 6: Endzustand nach Kariesexcavation: repräsentative Lehrmeinung der deutschen Hochschulen.
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Abb. 7: Versorgung tiefer, pulpanaher Kavitätenareale: repräsentative Lehrmeinung der deutschen Hochschulen.
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Abb. 8: Bevorzugte Instrumente zur Kariesexcavation: repräsentative Lehrmeinung der deutschen Hochschulen.
In den meisten Hochschulen werden für eine Überkappung der Pulpa in der Regel Calziumhydroxid oder Calziumhydroxydpräparate verwendet (56 %). Wenige Hochschulen wenden ausschließlich Adhäsivtechnik an (13 %), während Biodentine und MTA nur selten zum Gebrauch kommen (3,3 %) (Abb. 7).
Bei der Kariesexcavation wird deutlich, dass fast 60 % der Hochschulen Rosenbohrer und Handexcavatoren zur Entfernung infizierten Zahnhartgewebes nutzen. Selektiv werden am häufigsten Polymerbohrer verwendet, doch eine einheitliche Lehrmeinung ist nicht ersichtlich (Abb. 8).
Schlussfolgerung
In Anbetracht der langen Erfahrung mit kariösen Defekten und den verschiedenen Systemen zur Kariesentfernung haben sich in diesem Kernfach der Zahnerhaltung viele verschiedene Meinungen gebildet. Einerseits gibt es die Lehrmeinung, kariöses Dentin komplett zu entfernen und anschließend zu versorgen, andererseits zeigen gerade Studien der letzten fünfzehn Jahre, dass auch das Belassen von kleinen kariösen Läsionen ein probates Mittel sein könnte, um den Zahn als Hauptziel der Therapie vital zu erhalten. Längerfristige Studien werden den Nutzen dieser einzeitigen inkompletten Excavationsmethode gegenüber der altbewährten einzeitigen Excavation darlegen und vielleicht eine neue einheitliche Standardtherapie für die Kariesentfernung aufzeigen.

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