Diagnostik und Therapie horizontaler Wurzelfrakturen

Verglichen mit anderen dentalen Traumata sind horizontale Wurzelfrakturen verhältnismäßig selten. Frühzeitig diagnostiziert und adäquat behandelt, haben wurzelfrakturierte Zähne meist eine gute Prognose. Im Folgenden werden die wesentlichen diagnostischen Parameter erläutert, die für einen positiven Heilungsverlauf entscheidend sind, sowie die wichtigsten Schritte der Erstversorgung einer Wurzelfraktur beschrieben. Zudem werden Zeitpunkt sowie Befunde erörtert, die für eine endodontische Intervention sprechen, und der Behandlungsablauf einer Wurzelkanalbehandlung an einem wurzelfrakturierten Zahn näher beleuchtet.
Schätzungsweise 1 Milliarde Menschen weltweit erleiden während ihres Lebens ein dentales Trauma [1]. Damit zählt das dentale Trauma zu den fünfthäufigsten Erkrankungen bzw. Verletzungen des Menschen [2]. Da die Versorgung eines dentalen Traumas jedoch nicht zur täglichen Routine gehört, kann aus einer gewissen Unsicherheit hinsichtlich der Diagnose und möglicher Therapieoptionen eine inadäquate Erstversorgung resultieren, die die Prognose des verunfallten Zahnes negativ beeinflussen kann.
Dabei haben gerade Zähne mit einer horizontal verlaufenden Wurzelfraktur trotz ihres ungünstig erscheinenden Verletzungsmusters eine gute Prognose: ?n den allermeisten Fällen gelingt es, die Vitalität des betroffenen Zahnes zu erhalten. Kommt es im Verlauf der Nachsorge dennoch zu einer Pulpanekrose, kann mit minimalinvasiven endodontischen Maßnahmen der Zahnerhalt gewährleistet werden.
Prävalenz und Ätiologie
Im Vergleich zu anderen traumatischen Verletzungen der Zahnhartsubstanz sind Wurzelfrakturen verhältnismäßig selten: Die Prävalenz liegt zwischen 0,5 und 7% der Zähne der 2. Dentition sowie 2 bis 4% der Zähne der 1. Dentition [3]. Am häufigsten betroffen sind die zentralen Inzisivi des Oberkiefers (68%), gefolgt von den lateralen Inzisivi (27%). Horizontale Frakturen im Unterkiefer treten nur in etwa 5% der Fälle auf [4,5].
Wurzelfrakturen entstehen in der Regel durch das frontale Auftreffen von Gegenständen mit hoher Geschwindigkeit (z.B. Eishockeypucks oder -schläger), Rohheitsdelikte oder Fahrrad- bzw. EScooter-Unfälle. Der Altersgipfel liegt zwischen 11 und 20 Jahren; in jüngeren Altersgruppen sind horizontale Wurzelfrakturen eher die Ausnahme. Eine mögliche Erklärung könnte die erhöhte Elastizität des Alveolarknochens sein, die eine Luxation wahrscheinlicher eintreten lässt als eine Wurzelfraktur.
Horizontale Wurzelfrakturen werden nach ihrem Frakturverlauf in apikale, mittlere und koronale Wurzelfrakturen eingeteilt. Der Frakturverlauf entspricht den zahntypischen Spannungslinien, die sich zwischen der Krafteinwirkung und der Abstützung des Zahnes in der Alveole ergeben. Da das Knochenvolumen palatinal von apikal nach koronal abnimmt, verläuft der Frakturspalt in der Regel von bukkal nach palatinal schräg ansteigend (oblique) (Abb.1).
Diagnostik
Bei visueller Inspektion erscheinen wurzelfrakturierte Zähne meist geringgradig extrudiert oder nach oral verlagert. Ein negativer Sensibilitätstest sowie ein auffälliger Perkussionsbefund spielen zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung eine untergeordnete Rolle.
Unter Lokalanästhesie erfolgen die Bestimmung des Lockerungsgrades sowie die Sondierung des Sulkus, um eine mögliche Kommunikation mit der Mundhöhle und dem Frakturspalt festzustellen. Da klinisch nicht zwischen einer Wurzelfraktur und einer Luxationsverletzung unterschieden werden kann, kommt der radiologischen Diagnostik eine entscheidende Bedeutung zu.
Bei Verdacht einer Wurzelfraktur empfiehlt es sich, den betroffenen Zahn in 2 Ebenen (orthoradial sowie kranial bzw. kaudal exzentrisch) zu röntgen, da die sichere Darstellung des Bruchspalts stark abhängig ist vom Verlauf des Zentralstrahls [6]: Weicht der Zentralstrahl um mehr als 20° vom Frakturverlauf ab, ist der Frakturverlauf im Röntgenbild nicht detektierbar (Abb. 2). Neben projektionsbedingten Überlagerungsartefakten können auch eine nur geringgradige Verlagerung des koronalen Zahnanteils sowie Weichgewebeschwellungen die konventionelle radiologische Diagnostik von Wurzelfrakturen erschweren [6].
Im Einzelfall gilt es daher zu prüfen, ob die Verdachtsdiagnose Wurzelfraktur mithilfe einer DVT-Aufnahme mit einem begrenzten (z.B. 4 x 4 cm) Field of View (FOV) zu sichern ist, da die für die Prognose entscheidenden Faktoren, wie der exakte Verlauf des Frakturspalts, das Ausmaß der Verlagerung sowie eine mögliche Kommunikation des Frakturspalts mit der Mundhöhle, mithilfe einer DVT Aufnahme sicher detektiert werden können [7,8]. Folgende klinische Situationen kommen daher für eine DVT-Aufnahme infrage:
- Die Verdachtsdiagnose Wurzelfraktur konnte mittels konventioneller Röntgenbilder nicht gesichert werden.
- 2 radiologisch detektierbare Frakturlinien im mittleren Wurzeldrittel [9].
Wurzelfrakturen, die im zweidimensionalen Röntgenbild als Wurzelfraktur im mittleren Wurzeldrittel eingeteilt wurden, werden in der DVT-Aufnahme meist aufgrund ihres nach inzisal ansteigenden Frakturverlaufs als Wurzelfraktur im mittleren bis koronalen Wurzeldrittel bewertet. Diese Beurteilung kann auf den Therapieentscheid (z.B. längere Schienungszeiten) Einfluss haben [8]. Jedoch sollte die Indikation für eine DVT-Aufnahme gerade bei Kindern und Jugendlichen aufgrund ihrer höheren Strahlensensitivität streng den aktuellen Empfehlungen, wie z.B. der International Association of Dental Traumatology (IADT), entsprechen.
Erstversorgung
Die Therapie einer Wurzelfraktur richtet sich initial nach der Lage des Frakturspalts: Liegt bei einem zervikal verlaufenden Bruchspalt eine Kommunikation mit der Mundhöhle vor, ist das koronale Zahnsegment zu entfernen und der Erhalt des apikalen Segments hinsichtlich einer möglichen chirurgischen bzw. kieferorthopädischen Extrusion kritisch zu bewerten. Liegt jedoch keine Kommunikation vor und ist die Mundhygiene des Patienten optimal, kann auch bei einer Wurzelfraktur im koronalen Wurzeldrittel ein Behandlungsversuch unternommen werden (Patientenfall 1, Abb. 3 bis 5).
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Abb. 4: Recall nach 1 Jahr: Radiologisch erkennt man eine Interposition von Hart- und Bindegewebe.
© Diegritz -
Abb. 5: Recall nach 2 Jahren: keine radiologischen Anzeichen einer Pulpanekrose.
© Diegritz
Ist bei Frakturen im mittleren bis apikalen Drittel das koronal verlagerte Zahnsegment bei Erstvorstellung noch verlagert, sollte die Reponierung bidigital erfolgen. Kommt es hierbei zu einem taktil spürbaren Widerstand, liegt zusätzlich eine Fraktur der bukkalen Knochenwand vor, welche zuerst reponiert werden muss, bevor das koronale Zahnsegment in die korrekte Position gebracht werden kann. Je früher die Reposition erfolgt, umso leichter und komplikationsloser geht diese vonstatten.
Nach der Reposition muss die korrekte Position des Fragments radiologisch überprüft werden. Der Zahn wird anschließend mit einer passiven sowie flexiblen Draht-Kunststoff-Schiene (Durchmesser bis zu 0,4 mm) für mindestens 4 Wochen geschient.
Bei einem initial stark erhöhten Lockerungsgrad bzw. zervikalen Frakturverlauf kann die Schienungszeit auf bis zu 4 Monate extendiert werden [10]. Eine endodontische Intervention zum Zeitpunkt der Erstversorgung ist nicht indiziert.
Wundheilung
Die Wundheilung einer Wurzelfraktur kann nach 4 Mustern verlaufen:
- Verbindung der Zahnsegmente über eine Hartgewebebrücke
- Interposition von Bindegewebe
- Interposition von Hart- und Bindegewebe
- Interposition von Granulationsgewebe
Die ersten 3 Muster gelten als physiologische Reparaturprozesse. Ein Beispiel für eine Interposition von Hart- und Bindegewebe kann dem 2. Patientenfall entnommen werden (Abb. 6 bis 8). Eine Interposition mit Granulationsgewebe ist immer gleichbedeutend mit einer infizierten Pulpanekrose des koronalen Fragments und meist radiologisch an einer lateralen Aufhellung sowie klinisch an einer zunehmenden Mobilität der klinischen Krone zu erkennen.
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Abb. 7: Recall nach 1 Jahr: Interposition mit Hart- und Bindegewebe.
© Diegritz -
Abb. 8: Recall nach 4 Jahren.
© Diegritz
Nachsorge
Wie für alle traumatischen Verletzungen ist auch bei der Wurzelfraktur eine engmaschige klinische sowie radiologische Evaluation obligat, um rechtzeitig auf pathologische Veränderungen reagieren zu können. Die empfohlenen Nachsorgeintervalle für Wurzelfrakturen sind:
- 4 Wochen (Zeitpunkt der Schienenentfernung bei mittleren bzw. apikalen Wurzelfrakturen)
- 6 bis 8 Wochen
- 4 Monate (Zeitpunkt der Schienenentfernung bei Frakturen im koronalen Drittel)
- 6 Monate
- 1 Jahr und danach in jährlichen Abständen über einen Zeitraum von mindestens 5 Jahren [10]
Ein negativer Sensibilitätstest in den ersten Wochen nach dem Trauma besitzt nur eine eingeschränkte Aussagekraft und schließt nicht aus, dass die Pulpa sich regenerieren kann. Eine rötliche Verfärbung als Folge einer Diffusion von Blutbestandteilen kann in manchen Fällen auftreten; diese Verfärbung ist jedoch kein Indiz für eine Pulpanekrose. Auch radiologisch erkennbare Resorptionsprozesse im Bereich des Frakturspalts sind auf eine räumlich sowie zeitlich begrenzte Osteoklastenaktivität zurückzuführen und ebenfalls keine Indikation für die Initiierung einer Wurzelkanalbehandlung.
Des Weiteren sind im Verlauf von Monaten in etwa ¾ der Fälle Obliterationen des Wurzelkanals im Bereich des apikalen Zahnsegments bzw. beider Zahnsegmente radiologisch erkennbar und damit eher die Regel als die Ausnahme [11]. Auch hier bedarf es keiner Intervention.
Klinische Anzeichen für eine Pulpanekrose sind meist erst nach 3 bis 6 Monaten festzustellen. Da ein negativer Sensibilitätstest auch einen falsch negativen Vorhersagewert haben kann, sollten mindestens 2 Befunde für eine Pulpanekrose sprechen, z.B.:
- wiederholte negative Reizantwort auf den Sensiblitätstest
- gräuliche Verfärbung der klinischen Krone
- Fistelung im Bereich des Bruchspalts
- zunehmende Mobilität oder Extrusion der klinischen Krone
- radiologisch laterale Aufhellung im Bereich des Frakturspalts
Da die Verletzung des Endodonts bei einer Wurzelfraktur sich nur auf den koronal gelegenen Anteil bezieht und die Pulpa apikal des Frakturspalts in nahezu allen Fällen unbeteiligt und damit vital bleibt, ist eine Wurzelkanalbehandlung nur auf den koronalen Anteil zu begrenzen [4].
Endodontische Therapie
Nach erfolgter Zugangskavität gilt es, die Arbeitslänge korrekt zu bestimmen. Eine im Vorfeld angefertigte DVT-Aufnahme bietet hilfreiche Informationen über die Länge des koronal des Bruchspalts gelegenen Wurzelkanals.
Alternativ kann mithilfe der endometrischen Längenbestimmung die Lage des Frakturspalts vorhersagbar ermittelt werden [12]. Zudem kann mithilfe von Vergrößerungshilfen, wie dem dentalen Operationsmikroskop, der Bruchspalt in der Regel visualisiert werden.
Das geeignete Vorgehen bei der chemomechanischen Aufbereitung des Kanals richtet sich nach dem Alter des Patienten: Handelt es sich noch um einen wurzelunreifen Zahn, sollte sich die mechanische Bearbeitung des Kanals auf ein Minimum beschränken und der Fokus auf der Aktivierung der Spüllösung liegen. Als Spüllösung der Wahl kommt Natriumhypochlorit in niedriger bis mittlerer Konzentration zum Einsatz.
Dabei ist zu beachten, dass es bei der Verwendung nicht zu einer Extrusion von Spüllösung über den Frakturspalt kommt. Eine passive, drucklose Spülung sowie ein Silikonstopp an der Spülkanüle, welcher auf 2 bis 3 mm vor Arbeitslänge abgemessen wurde, verhindern zuverlässig eine Extrusion.
Da es sich bei horizontalen Frakturen im Kanal meist um eine größere Wundfläche handelt, empfiehlt es sich, vor der Obturation mit Guttapercha und Sealer den apikalen Anteil des koronalen Segments entsprechend einer einzeitigen Apexifikation zu verschließen. Als geeignete Obturationsmaterialien bieten sich hierfür hydraulische Tri- und Dikalziumsilikat-Zemente an, wie z.B. Biodentine (Septodont GmbH) oder Total Fill BC Putty (Brasseler USA). Auf „klassische“ Kalziumsilikat-Zemente, die Bismutoxid als Röntgenkontrastmittel beinhalten (z.B. MTA), kann heute aufgrund ihres Verfärbungspotenzials im Frontzahnbereich verzichtet werden (Patientenfall 3, Abb. 9 bis 15).
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Abb. 10: Sowohl in der koronalen als auch der sagittalen Schichtung deutlich zu erkennende Diastase der beiden Zahnfragmente.
© Diegritz -
Abb. 11: Zustand nach Trepanation und 1-monatiger Kalziumhydroxideinlage.
© Diegritz
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Abb. 12: Röntgenaufnahme nach 3-monatiger Kalziumhydroxideinlage. Es lagen keine erhöhten Sondierungstiefen mesial mehr vor.
© Diegritz -
Abb. 13: Röntgenkontrollaufnahme nach Obturation im Bereich des Frakturspalts mit einem kalziumsilikatbasierten Zement sowie einem Backfill mit erwärmter Guttapercha im Sinne einer einzeitigen Apexifikation.
© Diegritz
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Abb. 14: Recall nach 1 Jahr: keine Anzeichen für pathologischer Vorgänge.
© Diegritz -
Abb. 15: Recall nach 3 Jahren während der kieferorthopädischen Behandlung des Patienten: Man erkennt eine Abrundung der Wurzel im Bereich des Bruchspalts sowie ein leichtes Auseinanderdriften der beiden Fragmente sowohl als Folge des Kieferwachstums als auch der kieferorthopädischen Therapie.
© Diegritz
Prognose
Wichtig zu betonen ist, dass nahezu 80% der Zähne mit horizontalen intraalveolären Wurzelfrakturen einen für den Patienten positiven Heilungsverlauf nehmen, entweder mit hartgeweblicher Ausheilung oder mit Einlagerung von Weichgewebe bzw. Knochen. Grenzt man die Ausgangsdiagnose auf apikale und mittlere Wurzelfrakturen ein, liegt die Überlebensrate sogar bei 88% [4]. Wichtige prognostische Faktoren für einen positiven Heilungsverlauf sind: niedriges Patientenalter, nicht abgeschlossenes Wurzelwachstum (= große Wundfläche im Bereich der Fraktur und damit eine höhere Wahrscheinlichkeit einer Revaskularisation), geringe Mobilität bzw. Dislokation des koronalen Zahnsegments sowie eine geringgradige Diastase zwischen koronalem und apikalem Zahnsegment nach Reposition [13,14].
Mit einer Pulpanekrose des koronalen Anteils ist in etwa 20 bis 25% der Fälle zu rechnen. Begleitverletzungen, wie Kronenfrakturen mit oder ohne Pulpabeteilung, erhöhen das Risiko einer Nekrose signifikant. Jedoch ist selbst bei einer Wurzelkanalbehandlung des koronalen Segments mit Überlebensraten von bis zu 90% zu rechnen [15].
Fazit
Im Gegensatz zu Wurzellängsfrakturen haben horizontale Wurzelfrakturen an vitalen Zähnen eine sehr gute Prognose. Eine adäquate Erstversorgung besteht aus einer radiologisch überprüften Repositionierung des luxierten koronalen Zahnanteils sowie einer Schienung für 1 bis 4 Monate. Nur in etwa 1/5 der betroffenen Fälle muss eine Wurzelkanalbehandlung eingeleitet werden.
Die Entscheidung hierfür sollte frühestens nach 3 bis 6 Monaten erfolgen. Wichtig zu beachten ist, dass die Wurzelkanalbehandlung auf das koronale Zahnfragment begrenzt bleibt und damit nur bis zum Bruchspalt durchgeführt wird. Das apikale Zahnfragment bedarf keiner Intervention.

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