Angeborene Störungen der Blutbildung und deren Konsequenzen für die zahnärztliche Praxis – Teil 2
Fortsetzung
Erforderliche Diagnostik
Insbesondere, wenn die oben beschriebenen Veränderungen bereits im frühen Kindesalter vorkommen, sollte an eine Störung der Blutbildung gedacht werden und die Kontrolle des Differenzialblutbildes als Initialdiagnostik empfohlen werden. Die Erstellung eines Differenzialblutbildes ist in jeder Hausarztpraxis, beim Kinderarzt oder Internisten durchführbar und kann rasch und sicher wesentliche Veränderungen der Blutbildung aufdecken oder ausschließen. Die weitere Diagnostik bei begründetem Verdacht auf eine angeborene Blutbildungsstörung sollte in einem hämatologischen Zentrum erfolgen. Liegt bereits ein profunder Attachmentverlust vor, sollte – entsprechend den Therapiegrundsätzen bei aggressiven Parodontalerkrankungen – gezielt auf Parodontalpathogene untersucht werden. Eine systemische adjuvante Antibiose parallel zu einer Wurzeloberflächenreinigung kann unter diesen Umständen bereits im Gebiss der ersten Dentition oder im Wechselgebiss indiziert sein.
Eine seltene Sonderform der angeborenen Neutropenie ist die so genannte zyklische Neutropenie, bei der die Absolutzahlen der neutrophilen Granulozyten einen 21-tägigen Zyklus beschreiben. Dabei schwanken die Blutzellen zwischen normalen und stark verminderten Werten. Infektionen treten bei diesen Patienten in den sogenannten Nadirphasen des Zyklus auf und heilen während der Zyklusphase mit normalen Blutzellzahlen spontan ab. Bei regelmäßig wiederkehrenden Infektionen der Mundschleimhaut, insbesondere dem Auftreten von Schleimhautaphthen reicht daher eine einmalige Bestimmung des Blutbildes nicht aus – ein Zyklus kann nur durch eine konsequente Sammlung von Differenzialblutbildern (3 Blutbilder pro Woche über mindestens 3 Wochen) und Beurteilung durch einen erfahrenen Hämatologen ausgeschlossen werden.
Zahnärztliche Prävention
Bei bekannter angeborener Neutropenie erfordert die Behandlung des Patienten eine enge Kooperation von Zahnärzten mit Kinderärzten sowie Hämatologen. In einer laufenden Studie an der Medizinischen Hochschule Hannover hat sich bei Vorauswertungen bereits gezeigt, dass durch eine gezielte zahnärztliche Therapie in Verbindung mit einem Erreichen von etwa 1500 neutrophilen Granulozyten pro ?l durch die G-CSF-Gabe ein weiterer Attachmentverlust effektiv verhindert werden kann.
Neben einer ausreichenden Granulozytenzahl ist eine Optimierung der Zahnhygiene erforderlich. Zur weiteren Herabsetzung der oralen bakteriellen Besiedlung hat sich die Gabe von niedrig dosierten Chlorhexidinpräparaten (0,06 %ig) in Form von Mundspüllösungen als hilfreich gezeigt. Diese können aufgrund der geringeren Nebenwirkungen auch über längere Zeiträume vom Patienten angewendet werden. Um frühzeitig erneute Exazerbationen der parodontalen Erkrankungen zu erkennen und um den Patienten bei seinen Bemühungen um eine optimale Mundhygiene zu unterstützen, sind regelmäßige zahnärztliche Kontrollen erforderlich. Wie bei Patienten mit aggressiven Parodontopathien orientieren sich die Recallintervalle dabei an dem Ausmaß der vorliegenden Sondierungstiefen und der Mitarbeit des Patienten. Zahnärztliche Kontrollen müssen daher bei Patienten unter Zytokindauertherapie in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden.
Das Register für schwere chronische Neutropenien
Bei der geringen Inzidenz der einzelnen Erkrankungen sind die heutigen Erkenntnisse zu Pathophysiologie und klinischem Verlauf vor allem dem Aufbau eines internationalen Erkrankungsregisters für Neutropenie zu verdanken: Seit 1994 sammelte das „Severe Chronic Neutropenia International Registry“ (SCNIR) mit Sitz in Seattle (University of Washington), USA, und Hannover (Medizinische Hochschule Hannover), Deutschland, weltweit Longitudinaldaten von Patienten mit angeborenen und erworbenen schweren chronischen Neutropenien zu Erkrankungsverlauf, sekundären Erkrankungen, Therapieansprechen und Nebenwirkungen der Therapie mit G-CSF. Mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Kommission konnte ein europäisches Netzwerk aufgebaut werden, an dem mittlerweile 22 EU-Mitgliedsstaaten und assoziierte Länder, wie Israel, teilnehmen (Tab. 1). Mithilfe dieses Netzwerkes ist es gelungen, auch die Langzeitverläufe von weiteren seltenen angeborenen Erkrankungen, wie dem Shwachman-Diamond-Syndrom, der Glykogenose Typ 1b, dem Barth-Syndrom etc. zu dokumentieren, die mit einer chronischen Neutropenie einhergehen. Derzeit umfasst die Datenbank des Europäischen SCN-Registers (SCNER) Informationen zu etwa 500 Patienten mit verschiedenen chrinoschen Neutropenien (Tab. 1). In Deutschland ist das Neutropenie- Register seit 2004 Teil eines vom BMBF geförderten nationalen Netzwerkes zu angeborenen Störungen der Blutbildung, in dem Patientenregister zu den verschiedenen Blutbildungsstörungen, wie Anämien, Neutropenien, Thrombozytopenien und Knochenmarkaplasie, sowie Forschungsprojekte zu den jeweiligen Störungen zusammengeschlossen sind.