Diverse ältere, inzwischen unansehnlich gewordene Frontzahnversorgungen aus Komposit fristen seit Jahren eine gerade noch tolerierte Existenz: Das Lächeln ist etwas verhalten, die nähere Umgebung kennt einen so. Oft kein Grund, den Schritt zur Neuversorgung zu wagen. Dann kommt der Punkt, an dem ein strahlendes, unverkrampftes Lächeln an Bedeutung gewinnt. Bei der 28-jährigen Patientin war es die anstehende Hochzeit. Für sie war es somit eine „Notfallbehandlung“: nicht aus medizinischer, aber aus ästhetischer Sicht.
Aus diesem Grund stellte sie sich im Mai 2020 mit der Bitte um Neuversorgung ihres seitlichen Schneidezahnes 12 vor. Der Zahn fiel durch eine Vielzahl unterschiedlicher, zum Teil sehr alter Kompositversorgungen auf (Abb. 1 bis 3). Hintergrund der damaligen Versorgung, die inzwischen mehrfach ausgebessert wurde, war die anatomische Begebenheit des Zahnes 12: Es handelte sich um einen Zapfenzahn, der völlig korrekt im jugendlichen Alter erstmal direkt mit Komposit versorgt worden war. Derartige Aufbauten haben sich bewährt und stellen immer die minimalinvasivste Therapieoption dar [2,10,12,15,22,25,26,33,37,38]. Demzufolge sollte immer der direkten Versorgungsvariante der Vorzug gegeben werden.
Es gibt jedoch Behandlungsindikationen, bei denen eine indirekte Versorgung nicht deutlich invasiver ist als eine direkte. Dies ergibt sich häufig bei großflächigen Vorrestaurationen, entsprechenden Vorpräparationen – oder z.B. beim Vorliegen von Zapfenzähnen: Diese haben von Natur aus quasi eine 360°-Veneer- Präparation mitbekommen. In so einem Fall kann dann durchaus das ästhetische Versorgungspotenzial im Vordergrund stehen und die Versorgungsempfehlung auch mit gutem Gewissen in Richtung einer indirekten Vollkeramik-Versorgung tendieren. Dass Vollkeramik eine hochästhetische „High-End“-Versorgung gerade bei Veneers und Veneerindikationen darstellt, beweisen zahlreiche Publikationen der letzten Jahrzehnte [3–5,14,27,29–31,39,41, 48,52] und auch die S3-Leitlinie zu vollkeramischen Restaurationen aus dem Jahre 2015*.
Fallbericht
Genau dies war im vorliegenden Fall zutreffend: Nach Entfernung aller vorhandenen Kompositversorgungen zeigte sich fast eine Vorpräparation für eine Keramikkrone, die hinsichtlich des Präparationsverlaufs lediglich nachpräpariert werden musste. Demzufolge fiel die Entscheidung zur Anfertigung einer hochästhetischen Frontzahnkrone aus IPS e.max Press (Ivoclar Vivadent). Die Krone wurde im hauseigenen Meisterlabor nach individueller Farbbestimmung angefertigt (Abb. 4 bis 7).
Am Tag der adhäsiven Befestigung erfolgte nach Lokalanästhesie und Abnehmen des Provisoriums sowie Reinigung des Stumpfes die Funktions- und Ästhetikeinprobe. Die Verwendung einer entsprechenden Try-In-Paste (Variolink Esthetic Try In „warm“, Ivoclar Vivadent) erlaubte die Einschätzung der Farbwirkung nach der adhäsiven Befestigung. Nachdem die passende Farbe des adhäsiven Befestigungskomposits bestimmt worden war, erfolgte die Vorbehandlung der e.max-Krone. Die Krone wurde inzisal mit einem lichthärtenden, gummielastischen Provisoriummaterial (Clip, VOCO) in einem Pinselhalter fixiert (Abb. 8). Dies erlaubt eine optimale Vorbehandlung, ohne die Krone in der Hand halten zu müssen. Als Nächstes wurde die Krone nochmals gereinigt (Ivoclean, Ivoclar Vivadent [6]).
Es folgte die Keramik-Konditionierung mit 5%iger Flusssäure (IPS Ceramic Etching Gel) für 20 Sekunden (Abb. 9). Die 5%ige Flusssäure stellt nach wie vor die am besten bewährte Vorbehandlungsmethode für glasbasierte Keramiken dar [1,7,8,21, 28,35,40,44]. Eine Meta-Analyse aus dem Jahre 2015 bestätigt dies [43]. Aus diesem Grund blieb man hier bei dem etablierten Standard [16,17,19,23], auch wenn inzwischen eine „smartere“ Alternative zu Verfügung steht [18,20,24]. Die Abbildung 10 zeigt das „frostige“ Erscheinungsbild der Keramik nach Abspülen der Flusssäure.
Eine Silanapplikation nach der Flusssäurekonditionierung erhöht die Haftwerte gegenüber einer alleinigen Flusssäurekonditionierung signifikant. Somit kann die Silanisierung einer mit Flusssäure konditionierten glasbasierten Keramikoberfläche ebenso als „State of the Art“ bezeichnet werden [23,51]. Die klassische Silanapplikation (Monobond S, Espe-Sil usw.) funktioniert, ist aber heute aufgrund der Standardisierung der Bevorratung und der Gefahr der Verwechslung mit anderen Keramikprimern nicht mehr sinnvoll: Die Glaskeramik benötigt ein Silan, Zirkonoxid benötigt MDP, Metall benötigt bestimmte Schwefelverbindungen. Die Verwechslung der spezialisierten Einzelprimer führt zum Zusammenbruch des adhäsiven Verbundes. Deswegen haben sich Universalprimer etabliert und bewährt, die alle 3 Komponenten beinhalten. Eine Verwechslung ist nicht mehr möglich, es wird immer der richtige Primer verwendet. Die bekanntesten Produkte sind hier Monobond Plus (Ivoclar Vivadent) und Clearfil Ceramic Primer Plus (Kuraray).
Im vorgestellten Fall kam Monobond Plus zur Anwendung: Es wurde auf die Klebeflächen der IPS e.max-Krone aufgebracht und für 60 Sekunden einwirken gelassen (Abb. 11). Eine abschließende Lösungsmittelevaporation beendete die Vorbehandlung der Glaskeramik (Abb. 12). Silan enthaltende Universaladhäsive [16] sollten hingegen nicht auf der mit Flusssäure geätzten Glaskeramik verwendet werden, da das beigefügte Silan im sauren Milieu des Universaladhäsivs nicht lange lagerstabil ist [23]. Wenn sie denn überhaupt funktionieren, zeigen sie signifikant reduzierte Haftwerte [13,32,35,36, 45,46,53].
Es folgte die Isolierung des Arbeitsfeldes mit Kofferdam (Abb. 13). Nach Reinigung der Klebefläche mit Bimspaste (Zircate, Dentsply Sirona) erfolgte die Phosphorsäurekonditionierung der gesamten Klebefläche (Abb. 14). Da als Adhäsiv ein Universaladhäsiv zum Einsatz kam (Adhese Universal, Ivoclar Vivadent), hätte eine selektive Schmelzätzung völlig ausgereicht; da aber bei der Präparation schwer nach Schmelz- und Dentinarealen zu differenzieren war, erschien die Ätzung der Gesamtklebefläche mit dem Phosphorsäuregel als sinnvoll – zudem bei Universaladhäsiven die Phosphorsäurekonditionierung des Dentins keinerlei negativen Einfluss auf die Haftkraft des Universaladhäsivs hat [9,11,42,47,50]. Eine neuere Untersuchung zeigt allerdings auch auf Dentin höhere Haftwerte, wenn das Dentin vorab mit Phosphorsäuregel vorgeätzt wurde [34]. Die Abbildung 15 zeigt die Zahnhartsubstanz nach Abspülen des Ätzgels. Das Universaladhäsiv Adhese Universal wurde satt auf die Klebeflächen aufgebracht (Abb. 16) und für weitere 20 Sekunden leicht in Bewegung gehalten.
Auf ein aktives Einreiben unter Druck wurde bewusst verzichtet, um die vorher generierten, filigranen Schmelzprismen nicht zu beschädigen. Anschließend wurde das Adhäsiv so lange verblasen, bis ein glänzender, unbeweglicher Film entstanden war, und anschließend lichtgehärtet.
Im Gegensatz zu einem hochviskösem Heliobond (o.ä.) kann das niedrigviskösere Universaladhäsiv problemlos polymerisiert werden – einen negativen Einfluss auf die Passung durch eine zu dicke Bondingschicht ist nicht zu befürchten. Die Lichthärtung des Adhäsivs bei der Befestigung indirekter adhäsiver Restaurationen ist generell zu empfehlen – auch bei dualhärtenden Befestigungskompositen [49]. Im vorgestellten Fall wurde jedoch die rein lichthärtende Variante von Variolink Esthetic, Variolink Esthetic LC in der Farbe „warm“ ausgewählt: Die Keramikschichtstärke war nicht größer als 1,5 bis 2 mm, was laut Herstellerangaben die rein lichthärtende Befestigung zulässt. Voraussetzung war allerdings eine ausreichend starke und lange Lichtpolymerisation. Insgesamt wurde pro Seite (oral und labial) jeweils 60 Sekunden mit einem Hochleistungslichtpolymerisationsgerät (Bluephase Power Cure, High Power-Programm) polymerisiert.
Das rein lichthärtende Befestigungskomposit erlaubt eine entspannte Überstandsentfernung mittels Heidemann-Spatel, (frischem!) Bonding-Pinsel und Zahnseide vor der Polymerisation und weist somit einen eindeutigen Handlingsvorteil auf. Zu beachten ist allerdings, dass die Keramik nicht zu dick (< 2 mm) und nicht zu opak sein darf **. Die Polymerisation erfolgte unter Sauerstoffabschluss mittels eines Glyceringels (Liquid Strip, Ivoclar Vivadent).
Die Abbildungen 17 bis 19 zeigen die fertige Versorgung bei einem Nachkontrolltermin nach 2 Wochen: Die glasbasierte Keramikkrone fügt sich harmonisch in die Frontzahnsituation ein, die Gingiva ist reizlos, der Zahn beschwerdefrei und die Patientin glücklich: Der Hochzeit stand nichts mehr im Wege.
Schlussbetrachtung
Die Indikationsdifferenzierung zwischen einer erneuten direkten und einer indirekten Versorgung wurde bereits eingangs erörtert. Aufgrund der nur geringgradig erforderlichen Nachpräparation war die indirekte Versorgungsvariante mit Keramik vertretbar und somit hinsichtlich des ästhetischen Potenzials der Laborarbeit eines versierten Zahntechnikmeisters mit allen Detailakzentuierungsmöglichkeiten die 1. Wahl. Für ästhetisch anspruchsvolle Frontzahnversorgungen punkten nach wie vor glasbasierte Keramiken. IPS e.max Press stellt hier zudem noch eine sehr stabile Variante vollkeramischer Versorgungen dar, die hinsichtlich ihrer Biegebruchfestigkeit von hochtransluzenten Vollzirkonkeramiken kaum übertroffen wird. Ob sich die Versorgung des Zahnes 12 nun Krone oder 360°-Veneer nennt, ist Interpretationssache. Der Begriff 360°-Veneer hat sich für dimensionsreduzierte Wandstärken vollkeramischer Restaurationen im Frontzahnbereich etabliert und klingt einfach schöner als „Krone“.
* https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/083-012l_S3_Vollkeramische__Kronen_Brücken_2015-04-abgelaufen.pdf
** https://www.ivoclarvivadent.com/de/downloadcenter/gebrauchsinformation-fuer-den-zahnarzt/#V
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