Ästhetik und Funktion durch minimalinvasive Behandlungsplanung

Die Behandlung von komplexen ästhetischen Fällen ist ein aufwendiger und zeitintensiver Prozess, da gute Gesamtergebnisse immer eine Leistung aus vielen Einzeldisziplinen darstellen und einen regen Informationsfluss zwischen Zahnarzt, Zahntechniker und Patient voraussetzen. Im folgenden Fallbericht wird die Behandlung eines Patienten vorgestellt, der seine Unzufriedenheit mit seinen Oberkieferfrontzähnen und den Wunsch nach Veränderung äußerte: Nach einer funktionellen Vorbehandlung wurde der Verlauf der Gingiva korrigiert und die Frontzähne mit Veneers versorgt.
Ein zeitgemäßes Konzept einer funktionellen und patientenfreundlichen Zahnmedizin basiert im Wesentlichen auf den Grundprinzipien der biologischen Integration, um durch minimalinvasive Behandlungstechniken optimale ästhetische Erfolge zu erzielen. Dabei ist die Behandlung von komplexen ästhetischen Fällen nicht allein auf das Wiederherstellen der weißen Ästhetik beschränkt. Häufig beruhen Disharmonien auf einer gestörten Funktion, wie beispielsweise bei verloren gegangener Zahnsubstanz auf dem Verlust wichtiger Führungsflächen. Darüber hinaus haben funktionelle Fehlbelastungen
und Fehlstellungen von Zähnen immer einen ungünstigen Einfluss auf den Arkadenverlauf der Gingiva. Manchmal werden komplexe Fälle nicht als solche erkannt, und es wird lediglich die weiße Ästhetik korrigiert. Die Ergebnisse sind dann nicht langlebig und oft auch ästhetisch unbefriedigend. Perfektion in der Ästhetik kann nur durch die Anwendung funktioneller Maßnahmen und die Einbeziehung plastischer Parodontalchirurgie erreicht werden.Um sich ein Bild von der Komplexität des Einzelfalles machen zu können, empfiehlt es sich, den Fall nach der folgenden, von den Autoren festgelegten Einteilung zu beurteilen und zu planen:
Klasse 1: Korrekturen nur in der weißen Ästhetik erforderlich
Klasse 2: Korrekturen in der Funktion und in der weißen Ästhetik erforderlich
Klasse 3: Korrekturen in der weißen und roten Ästhetik erforderlich
Klasse 4: Korrekturen der Funktion, der weißen und der roten Ästhetik erforderlich
Klasse 5: Kieferorthopädische oder kieferchirurgische Vorbehandlung erforderlich
Patientenfall
Der 28-jährige Patient stellte sich in unserer Praxis mit dem Wunsch nach einem schöneren Lächeln vor. Er befürchtete eine weitgehende Überkronung und ein „Abschleifen“ der oberen Frontzähne und war aus diesem Grund möglichen Alternativen und minimalinvasiven Behandlungsmethoden gegenüber sehr aufgeschlossen. Bei genauer Untersuchung zeigten sich folgende funktionelle und ästhetische Probleme (Abb. 1 u. 2).
Funktionelle Problematik
Die parafunktionelle Abrasion auf beiden Seiten führte zu sequentieller Führung bei zentrischem Frühkontakt an Zahn 37 mit Mediotrusion und sehr steiler Frontzahnführung und deutlich druckdolenter Kaumuskulatur beidseits.
Rote Ästhetik
Die deutliche Rezession an Zahn 21 stört die Harmonie des Gingivaverlaufs.
Weiße Ästhetik
Dazu kommen das deutliche mediale Diastema und eine auffallende Asymmetrie der beiden oberen zentralen Incisivi. Dem Patienten wurde ein Behandlungsplan vorgelegt, der seinen Wünschen entgegenkam, von ihm aber Geduld und aktive Mithilfe erforderte.
Planung und Behandlung
Die folgende Behandlung wurde geplant: Zunächst sollte eine zentrische Bisslage verwirklicht werden. Dafür sahen wir zunächst eine Schienentherapie mit begleitender Physiotherapie, danach ein selektives Einschleifen sowie die Herstellung adäquater Führungsflächen als notwendig an, um eine Front-Eckzahnführung in zentrischer Relation zu erreichen. Ein funktionelles ästhetisches Mock-up sollte dabei als Langzeit-Behandlungsrestauration dienen. Des Weiteren wurden zur Herstellung eines harmonischen Gingivaverlaufes plastische parodontalchirurgische Maßnahmen geplant. Zuletzt sollte eine minimalinvasive prothetische Versorgung mit Veneers erfolgen.
Im Zuge der funktionellen Vorbehandlung wurde nach einer Schienentherapie ein ästhetisch-funktionelles Wax-up in Zentrik erstellt und als festsitzendes Mock-up mittels Adhäsivtechnik und Composite in den Mund des Patienten übertragen. Hierzu wurde ein Silikonschlüssel vom Wax-up angefertigt und dieser zur Schichtung des Mock-ups aus Composite verwendet (Abb. 3 u. 4). Nach Abschluss der 6 Wochen dauernden interdisziplinären Schienentherapie diente die so hergestellte Langzeit-Behandlungsrestauration dem Patienten als erste Visualisierung eines späteren Behandlungsziels und war für ihn zugleich Motivation, sich den weiteren Maßnahmen zu unterziehen (Abb. 5–7).
Im Rahmen der Harmonisierung des Gingivaverlaufs wurden die geplan ten parodontalchirurgischen Schritte durchgeführt. Die Korrektur der Gingivasituation machte eine Kronenverlängerung an Zahn 11 mit gleichzeitiger Rezessionsdeckung an Zahn 21 erforderlich (Abb. 8). Die zur Erhaltung der biologischen Breite notwendige Osteoplastik an Zahn 11 wurde minimalinvasiv ohne Lappenbildung mittels Piezotechnik durchgeführt. Die Rezessionsdeckung an Zahn 21 erfolgte mit einem freien subepithelialen Bindegewebstransplantat aus dem Gaumen und der Gestaltung eines koronal verschobenen Envelop-Lappens mittels Tunneltechnik (Abb. 9).
Fünf Monate post OP und nach Home-Bleaching der Oberkieferzähne erfolgte die Präparation für drei Keramikveneers an den Zähnen 12, 11 und 21 durch das adhäsiv befestigte Mock-up hindurch. Zur Schaffung eines harmonischen Emergenzprofils der späteren Restauration musste jeweils mesial an den Zähnen 11 und 21 die Präparation subgingival erfolgen, wofür ein Retraktionsfaden gelegt werden musste, der eine Blutung provozierte (Abb. 10 u. 11). Die Venners wurden im Labor aus IPS e.max Keramik (Ivoclar Vivadent, Ellwangen/ Jagst) vollanatomisch gepresst, reduziert und mit e.max Ceram Schichtkeramik fertiggestellt. Nach Einprobe mit Try-in-Gel wurden entsprechend der ausgewählten Compositefarbe die Keramikveneers zur besseren Kontrolle der Passung einzeln und unter Kofferdam adhäsiv und rein lichthärtend befestigt (Abb. 12–14).
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Abb. 8: Minimalinvasive Kronenverlängerung an Zahn 11 und Rezessionsdeckung an Zahn 21 am Tag der OP.
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Abb. 9: Gingivaverlauf 5 Monate post OP.
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Abb. 10: Präparation für drei Keramikveneers an den Zähnen 12, 11 und 21 nach Entfernung des Retraktionsfadens.
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Abb. 11: Kontrolle der Passung der e.max-Veneers auf dem ungesägten Modell.
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Abb. 12: Einsetzen der Veneers.
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Abb. 13: Die Keramikveneers an den Zähnen 12, 11 und 21 nach adhäsiver Befestigung mit Aufbau von funktionellen additiven Composite-Chips an den Zähnen 13, 22 und 23 unter Berücksichtigung einer gelenkprotektiven Frontzahnführung.
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Abb. 14: Zebris-Auswertung der Frontzahnführung.
Zur Sicherung des Behandlungsergebnisses erfolgten ein engmaschiger Recall und die Neujustierung der vorhandenen Aufbissschiene. Nach der langen Behandlungszeit betonte der Patient, er fühle sich wie ein „neuer Mensch“. Das strahlende Lächeln ist Ausdruck seiner neu gewonnenen Selbstsicherheit – für den behandelnden Zahnarzt ist es eine Bestätigung seines Behandlungserfolgs (Abb. 15 u. 16).
Fazit
Gesunde parodontale Verhältnisse, die Schonung der Zahnhartsubstanz, eine adäquate Funktion und exzellente Langzeitprognose sind die maßgeblichen Parameter für zeitgemäße, restaurative Behandlungskonzepte. Es liegt allerdings an der Lokalisation des zahnmedizinischen Arbeitsfeldes und ist Ausdruck von Zeitgeist, dass Patienten darüber hinaus mit einer gewissen Selbstverständlichkeit zu Recht auch optimale ästhetische Resultate einfordern. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, benötigt der ästhetisch tätige Zahnarzt ein fundiertes Grundwissen in den Bereichen Funktionslehre,
minimalinvasive Adhäsivtechnik sowie plastische Parondontalchirurgie. Komplexe ästhetische Fälle bedürfen zudem einer eingehenden Befunderhebung, einschließlich einer umfassenden Analyse der Funktion sowie der roten und weißen Ästhetik. Eine enge Kooperation zwischen Zahnarzt, Zahntechniker und Patient sowie eine entsprechend hohe Patientencompliance, besonders bei den Maßnahmen der roten Ästhetik, sind Voraussetzungen für den Behandlungserfolg. Ziel ist es, nach Abschluss der Behandlung einen zufriedenen Patienten zu entlassen, der aufgrund des Zugewinns an Lebensqualität seine Entscheidung für die Behandlung jederzeit wieder treffen würde.