Ästhetik

Ethische Fallstricke der wunscherfüllenden Zahnheilkunde

Ästhetik als zahnärztliches Handeln?

.
.

Im Zeitalter der Patientenautonomie und der Individualisierung spielen die Wünsche und Erwartungen der Patienten/-innen eine zunehmende Rolle. Viele dieser Erwartungen sind außertherapeutischer Natur, und nicht jeder Patientenwunsch ist (zahn)medizinisch indiziert und/oder ethisch vertretbar. Der vorliegende Beitrag widmet sich ebendieser Problematik. Er klärt die Begrifflichkeiten, nennt charakteristische Beispiele und stellt die Frage nach den Gefahren und Grenzen wunscherfüllender Maßnahmen in der Zahnheilkunde1.

Begriffliche Klärungen und Beispiele

Was meinen wir eigentlich, wenn wir von „Ästhetischer Zahnheilkunde“ sprechen, und was ist mit der Bezeichnung „Wunscherfüllende Zahnmedizin“ gemeint? Zahnärzte/-innen werden regelmäßig mit derartigen Begriffen konfrontiert, ohne dass vorausgesetzt werden kann, dass jeder dasselbe darunter versteht. Daher scheint es sinnvoll, zunächst die wichtigsten Termini auf diesem Themengebiet zu klären [1-3].

Es bietet sich an, zunächst die Begriffe „Therapie“ und „Enhancement“ gegeneinander abzugrenzen: Unter Therapie (gr. Θεραπεία = Dienst, Behandlung) verstehen wir die Behandlung von Krankheit oder Verletzung, d.h. es geht um eine Intervention an Patienten/-innen, an kranken Menschen (homo patiens = der leidende Mensch). Demgegenüber steht „Enhancement“ (engl. to enhance = verbessern) für Maßnahmen der „Verbesserung“ oder „Optimierung“, ohne dass eine Krankheit oder eine Läsion zugrunde liegt. Hier geht es also um eine Intervention bei Gesunden – dementsprechend handelt es sich streng genommen nicht um eine Krankenbehandlung, sondern um eine zahnärztliche Dienstleistung bei Klienten/-innen oder Kunden/-innen.

Der Unterschied zwischen beiden Begriffen lässt sich an einem simplen Beispiel verdeutlichen: Wenn etwa ein Frontzahn nach einem traumatischen Verlust der Schneidekante überkront oder mit einem Veneer versehen wird, ist dies eine therapeutische Maßnahme; wenn ein nicht pathologisch veränderter Incisivus dagegen aus rein optischen Gründen in entsprechender Weise versorgt wird, liegt ein Enhancement vor. Das letztgenannte Beispiel fällt zugleich unter den Oberbegriff „Wunscherfüllende (Zahn-)Medizin“: Gemeint sind damit (zahn)ärztliche Maßnahmen und Eingriffe, die auf Wunsch von Patienten/-innen (eigentlich: Kunden/-innen, Klienten/-innen) durchgeführt werden, für die jedoch keine medizinische Indikation besteht und die dementsprechend auch keinen kurativen Ansatz haben. Ziele der wunscherfüllenden Medizin sind die „Verbesserung“ bzw. – neutraler formuliert – die gezielte Veränderung von Form und Funktion bestimmter Körperteile.

Auch die Begriffe „Ästhetik“ und „Kosmetik“ sind voneinander abzugrenzen: Ästhetik (gr. Aísthesis = Wahrnehmung) ist die Lehre von der (gesetzmäßigen) Schönheit. Gemeint ist häufig die Orientierung an einer Schönheitsnorm; in diesem Sinne bedeutet „ästhetisch“ schön, geschmackvoll oder ansprechend.

Kosmetik (gr. kosméo = „schmücken“) steht demgegenüber für Maßnahmen, die dem Schmücken des menschlichen Körpers dienen (hier: des Zahn-, Mund- und Kieferbereichs). Hierzu gehören z.B. die Applikation von Zahnschmuck oder periorale bzw. orodentale Piercings. Ästhetik und Kosmetik sind keine Synonyme.

Während es z.B. naheliegt, die Versorgung unschön gefleckter Frontzähne mit Veneers als ästhetische Maßnahme einzuordnen, die sich an einer Schönheitsnorm orientiert, können kosmetische Maßnahmen verschiedenste Ziele verfolgen. Oft geht es gerade nicht darum, einer Schönheitsnorm oder einem Ideal nachzueifern, sondern die Norm zu konterkarieren: Wenn Lippen, Zungen, Lippenbändchen oder Zungenbändchen durchstochen und mit Piercings versorgt werden, handelt es sich um ein gezieltes optisches Abweichen von den Gesetzmäßigkeiten oder Idealen der Natur. Ziel ist hier die Individualisierung – die Einzigartigkeit – des Aussehens durch die bewusste optische Entfernung von der Norm.

Ein weiteres Beispiel bietet das dentale Bleichen (Dental bleaching): Sein Zweck ist die Aufhellung der Zähne. Ob dies als ästhetisch empfunden wird, hängt vom Einzelfall und der Einschätzung der Betrachtenden ab. Wenn eine ältere Person z.B. eine extrem helle Zahnfarbe wünscht, die sich nicht harmonisch in das Äußere einfügt, sondern auffällig „heraussticht“, wird man keine Orientierung an der „Gesetzmäßigkeit der Natur“ unterstellen können, sondern allenfalls eine „Überbietung“ derselben.

Ein weiterer zentraler Begriff im hier diskutierten Themenfeld ist die „Körpermodifikation“: Dieser Terminus bezeichnet verschiedenartige freiwillige, invasive und zumeist nicht (vollständig) reversible Veränderungen am menschlichen Körper. Beispiele bieten Piercings, Tattoos, körperformende Implantate, aber auch die in manchen Kulturkreisen anzutreffende Zuspitzung von Zähnen („Zahnfeilungen“) oder die Einarbeitung von Lippentellern – einem Hilfsmittel für die Formung von Tellerlippen, die dem Schönheitsideal verschiedener afrikanischer und amerikanischer Ethnien entsprechen. Auch das partielle Spalten der Zunge („Zungensplitting“) oder das Einfärben von Zähnen sind der Körpermodifikation im ZMK-Bereich zuzurechnen.

Nicht alle wunscherfüllenden Maßnahmen sind invasiver Natur: So sind auch die Bereiche Dental Wellness und Dental Spa der Wunscherfüllung zuzurechnen. Hier geht es um die Optimierung des emotionalen und körperlichen Wohlbefindens: Unter „Dental Wellness“ werden Anwendungen bzw. Serviceleistungen verstanden, die explizit der Entspannung und dem Wohlbefinden der zahnärztlichen Patienten/-innen dienen.

Beispiele wären Nackenmassagen in der zahnärztlichen Praxis oder der Einsatz von Aromatüchern oder -therapien im MKG- bzw. Kopfbereich. Kommt bei besagten Wellnessmaßnahmen explizit Wasser zur Anwendung, spricht man von „Dental Spa“ (lat. sanus per aquam = Gesundheit durch Wasser).

Allen wunscherfüllenden Maßnahmen ist, wie angesprochen, gemeinsam, dass sie nicht dem kurativen (= heilenden) Bereich zuzurechnen sind und ihnen keine medizinische Indikation zugrunde liegt. Sie sind abzugrenzen gegenüber Behandlungen, die aus medizinischer Sicht zwar nicht unbedingt notwendig sind, für die sich jedoch eine über die rein ästhetische Motivation hinausgehende (relative) Indikation stellen lässt: Beispiele hierfür sind Veneers bei einem Diastema mediale oder bei nicht kariösen, aber fleckigen bzw. in der Oberflächenstruktur veränderten Frontzähnen, die bei Patienten/-innen einen Leidensdruck erzeugen, oder das Aufhellen eines einzelnen nachgedunkelten (und insofern ästhetisch störenden) avitalen Zahns.

Weitere, bislang nicht erwähnte Beispiele aus dem Bereich der Wunschbehandlung im orodentalen bzw. orofazialen Bereich sind Lid-, Rhino- und Lippenplastiken, minimalinvasive Faltenbehandlungen mit Botulinumtoxin, Unterspritzungen mit sogenannten Fillern und nicht invasive Anti-Aging-Maßnahmen (z.B. durch Cosmeceuticals, d.h. pharmakologisch wirksame Kosmetika). Der Anbieterkreis der hier beschriebenen Maßnahmen ist so groß wie die Palette der möglichen Maßnahmen und umfasst neben „Schönheitschirurgen/-innen“, plastischen Chirurgen/-innen, Dermatologen/-innen, Hausärzten/-innen, Betreibenden von Piercing-, Tattoo- und Dentalkosmetik-Studios z.T. auch MKG-Chirurgen/-innen und Zahnärzte/-innen.

Wunscherfüllende Zahnmedizin – Merkmale und Trends

Die wunscherfüllende (Zahn-)Medizin besitzt 4 Kennzeichen [1-3]: Bereits angesprochen wurde das breite, vielfältige Angebotsspektrum, der Rollenwechsel von Patienten/-innen zu Kunden/-innen und die Rollentransformation von Zahnärzten/-innen zu Dienstleistenden. Ein 4. Merkmal betrifft die Finanzierung: Wir haben es bei wunscherfüllenden Maßnahmen nicht mit Kassenleistungen zu tun, sondern mit Out-of-Pocket-Zahlungen – also Eigenleistungen, die von den Patienten/-innen selbst erbracht werden. Derartige Leistungen sind in der Zahnheilkunde besonders weit verbreitet: Nach Sektoren betrachtet, entfiel 2018 immerhin der drittgrößte Teil der Out-of-Pocket-Zahlungen im deutschen Gesundheitssystem auf zahnärztliche Behandlungen (6,6 Mrd. Euro); nur im Bereich der stationären Langzeitpflege (14,5 Mrd. Euro) und bei den Arzneimitteln (10,4 Mrd. Euro) war die betreffende Summe noch höher [4].

Allerdings ist zu betonen, dass nur ein Teil der Out-of-Pocket-Zahlungen in der Zahnheilkunde auf Wunscherfüllung zurückzuführen sind. Bekanntlich müssen auch beim Zahnersatz von den Versicherten Eigenanteile erbracht werden. Letzterer fällt umso höher aus, je aufwendiger die Versorgung ist.

Für bestimmte Leistungen – z.B. implantologische Maßnahmen – kommen die Patienten/-innen im Regelfall gänzlich selbst auf. Gleichwohl nimmt der Anteil wunscherfüllender Maßnahmen zu. Sander und Müller erkennen in der gegenwärtigen „Zahnmedizin […] verstärkt eine Healthcare- und Lifestyle-Richtung, in der Patienten/-innen immer mehr als Kunden/-innen angesehen werden und neben dem Beraten das ‚Verkaufen‘ von beispielsweise ästhetischen Leistungen ohne medizinischen Hintergrund eine zunehmend größere Rolle spielt“ [5].

Doch was sind die Gründe für diesen Bedeutungszuwachs? Die Antwort fällt vielschichtig aus:

  • Sonderstellung des Gesichts und des Orofazialbereichs

Zum Ersten ist das Gesicht – und somit auch der Orofazialbereich – ein zentrales Kommunikationsorgan; es vermittelt mimische, gestische und sprachliche Elemente [6]. Das Gesicht ist in der Regel der unmittelbaren Betrachtung zugänglich und insofern besonders augenfällig. Es vermittelt bei der Begegnung von Menschen einen ersten, oftmals gewichtigen Eindruck.

Zugleich ist das Gesicht der zentrale Punkt für die Selbstwahrnehmung und die Ausbildung der Ich-Identität. Daraus lässt sich eine Reihe von Rückschlüssen ableiten: Veränderungen im Gesicht – seien sie altersbedingt, situativ (z.B. durch dramatische oder gelebte Erfahrungen) oder intentional (z.B. durch ein periorales Piercing oder eine schönheitsmedizinische Maßnahme) – können auf die soziale Wahrnehmung und die Akzeptanz einer Person wesentlichen Einfluss nehmen. Daher werden wunscherfüllende Maßnahmen von Personen z.T. bewusst veranlasst, um die eigene soziale Wahrnehmung und Integration im gewünschten Sinne zu beeinflussen.

  • Zeitgeistaspekte

Neben diesen grundsätzlichen Aspekten sind Zeitgeistaspekte anzusprechen: Ein zentrales Phänomen der modernen Gesellschaft ist das Paradigma anhaltender Jugendlichkeit und Leistungsfähigkeit. Dabei suggerieren v.a. die Medien vielfach eine Normalität körperlicher Schönheit, die von der Realität kaum erreicht werden kann. Hinter diesem Phänomen steht ein Körperkult, bei dem Jugend und Attraktivität logisch verknüpft werden.

Befördert wird diese Tendenz durch entsprechende Visualisierungen in der Werbung, die vielfach gezielt und bevorzugt auf junge und/oder optisch attraktive Menschen rekurriert. Ein weiteres Charakteristikum der Moderne ist – zumindest in den Industrienationen – ein eklatanter Anstieg der durchschnittlichen Lebenszeit. Wer heute in Deutschland geboren wird, hat eine um 30 Jahre höhere Lebenserwartung als eine Person, die vor 100 Jahren zur Welt kam.

Dies führt zu dem scheinbaren Widerspruch, dass Menschen die Erwartung haben, ein hohes Alter zu erreichen, ohne jedoch vergreisen bzw. alt erscheinen zu wollen. Das gesellschaftliche Paradigma anhaltender Jugend(lichkeit) und Leistungsfähigkeit verdankt sich insbesondere der sukzessiven Ausdehnung der lebensbezogenen Aktivitätsspanne.

Besonders deutlich wird dies in rezenten (zumeist euphemistischen) Begriffen wie „Best Ager“, „Mid-Ager“, „Third Ager“ oder „Generation Gold“. Hinzu kommt – als Charakteristikum der mobilen, schnelllebigen, digitalisierten Gesellschaft – eine Zunahme der Frequenz sozialer Kontakte bei abnehmender Kontaktdauer, wodurch der optische (Erst-)Eindruck, den ein Mensch hinterlässt, immer wichtiger wird.

  • Gewachsene Erwartungen an die moderne (Zahn-)Medizin

Solche Tendenzen werden durch gewachsene Erwartungen an die moderne Medizin befördert. Diese Machbarkeitsvorstellungen richten sich nicht nur auf therapeutische, sondern eben auch auf wunscherfüllende (ästhetische, kosmetische, körpermodifizierende) Maßnahmen. Wichtige Voraussetzungen dieser Entwicklung waren und sind die Verbesserung chirurgisch-operativer Techniken, der sukzessive Rückgang der perioperativen Risiken, die modernen Möglichkeiten einer erfolgreichen Anästhesie und Schmerztherapie, die sukzessive Ausweitung der Indikationen, Anwendungsgebiete und Formen wunscherfüllender Interventionen und die deutliche zahlenmäßige Zunahme der Anbieter derartiger Dienstleistungen [6,7].

  • Erweiterter Adressatenkreis

Zudem sind wunscherfüllende Maßnahmen für immer mehr Menschen in der westlichen Welt bezahlbar – zum einen infolge des seit Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich gestiegenen Lebensstandards und zum anderen durch die Einführung neuer Kreditmodelle und Zahlungsmodalitäten. Aus den genannten Aspekten ergibt sich eine Erweiterung des Adressatenkreises von den klassischen wohlhabenden weiblichen Patienten aus der Oberschicht auf Vertreter beider Geschlechter und unterschiedlichster sozialer Herkunft. Dabei hat sich der Trend zu kosmetisch motivierten Eingriffen unter den Bedingungen der Coronapandemie nochmal deutlich verstärkt – dies gilt insbesondere für Korrekturen im Gesichtsbereich [8].

  • Singularität und Anderssein im Zeitalter der Individualisierung 

Ein weiteres Phänomen unserer Zeit ist die Individualisierung. Jener Begriff bezeichnet den für die moderne Gesellschaft charakteristischen Wechsel von der Heteronomie (Fremdbestimmung) zur Autonomie (Selbstbestimmung) des Individuums.

Damit einher gehen eine Pluralisierung von Lebensstilen und der Verlust einer in der Gemeinschaft erlebten Sinnerfüllung: Die persönliche Identitäts- und Sinnfindung wird zur individuellen Lebensleistung. Dies erklärt, warum es bei vielen wunscherfüllenden Maßnahmen nicht (mehr) um die Erfüllung einer ästhetischen Norm – dem Schönheitsideal – geht, sondern vielmehr der Wunsch nach Singularität, Andersartigkeit und Unverwechselbarkeit Ausdruck findet. Körpermodifizierende Maßnahmen wie etwa (orale) Piercings, extragroße Ohrlöcher (Flesh Tunnels und Plugs), Tattoos, körperformende Implantate, Zahnfeilungen und Zungensplittings folgen keiner (ästhetischen) Norm – vielmehr sollen sie Personen zu unverwechselbaren, singulären Erscheinungen machen.

Die Anbietenden

Was aber lässt sich über die Anbietenden derartiger Dienstleistungen aussagen? Ein Teil dieser Dienstleistenden sind approbierte Zahnärzte/-innen, die sich auf den „Schönheitsmarkt“ spezialisiert haben und dementsprechend kosmetische Maßnahmen zu ihrem (erweiterten) Angebot zählen. Sie treten z.B. als Spezialisten/-innen auf, die in ihrer „Prophylaxeabteilung“ neben Vorsorgemaßnahmen auch Bleaching und Schmucksteine anbieten, oder spezifische Profile wie die eines „Spa-Zahnarztes“ bzw. einer „Spa-Zahnärztin“ angeben [1-3,9].

Daneben finden sich auch Hinweise auf invasivere kosmetische Maßnahmen wie (peri)orale Piercings. Auch daran sind Zahnärzte/-innen beteiligt. Tatsächlich sind etwa auf der Homepage von „Arzt Atlas“ unter den Medizinern, die Piercings durchführen („Welche Ärzte in Nordrhein-Westfalen bieten Piercing an?“) hauptsächlich Zahnärzte/-innen verzeichnet [10].

Dass sich die Grenzen zwischen Dienstleistungen von Zahnärzten/-innen und Nichtzahnärzten/-innen verwischen, zeigt sich bei vielen neueren Arten von „Praxen“: Ein Blick in das World Wide Web zeigt, dass zwischenzeitlich etliche „Dental-Studios“ existieren, in denen Anbietende ohne zahnärztliche Approbation wunscherfüllende Maßnahmen anbieten. Sie firmieren z.T. unter Namen wie „White Lounge“, „Dental Lounge“ oder „Smile Studio“.

Daneben bieten bekanntlich auch Piercing-Studios orofaziale Körpermodifikationen an. Auffällig ist auch, dass ein Teil der angesprochenen Einrichtungen öffentlichkeitswirksame Informationen platziert, die in Inhalt und Form an „anpreisende Werbung“ denken lassen.

Risiken und Gefahren der wunscherfüllenden Zahnheilkunde

Vor allem mit Blick auf klassische Schönheitsbehandlungen befürchten kritische Stimmen eine sukzessive Einengung auf ein bestimmtes Ideal, das an Schönheitsidolen bzw. an Jugendlichkeit ausgerichtet ist – mit dem Resultat, dass die Toleranz gegenüber stark abweichendem Aussehen abnimmt („Konformitätsdruck“). Zudem wird vor einem fehlgeleiteten gesellschaftlichen Wettbewerbsklima gewarnt („Hypercompetitiveness“), d.h. vor einer Situation, in der der allgemeine Trend zum Erhalt von Attraktivität und Jugendlichkeit zu einer sozialen Stimmung führt, die Konkurrenzdenken befeuert und das soziale Miteinander belastet [1-3].

Aber auch Maßnahmen, die der Normabweichung dienen, werfen gesellschaftliche Fragen auf. Derartige Eingriffe, wie extremes dentales Bleaching, auffälliger Zahnschmuck oder (peri)orale Piercings, zielen – wie ausgeführt – auf Unverwechselbarkeit und Andersartigkeit. In diesen Fällen besteht der „Wettbewerbsdruck“ darin, sich von allen anderen sichtbar zu unterscheiden und mittels kosmetischer oder invasiver körperlicher Maßnahmen Eigenständigkeit zu demonstrieren bzw. Alleinstellungsmerkmale auszubilden.

Kritisiert wird auch die „Medikalisierung“ der Gesellschaft: Kaum ein Bereich nimmt so starken Einfluss auf unseren Umgang mit körperlicher Attraktivität und Altern wie die Medizin bzw. der Gesundheitssektor – ein Phänomen, das als „Medikalisierung“ bezeichnet wird. Hierzu gehört, dass eigentlich physiologische Alterserscheinungen mehr und mehr pathologisiert, in den ärztlichen Zuständigkeitsbereich gerückt und in der Konsequenz als „behandlungsbedürftig“ eingeordnet werden.

Andererseits gehört es zu den spezifischen, raum- und zeitübergreifend gültigen Merkmalen den Menschen, den eigenen Körper so zu verändern bzw. verändern zu lassen, dass er dem Menschen (und Dritten) besser gefällt. Zahneinlagen aus Jade oder anderen Werkstoffen lassen sich bereits an prähistorischen Skeletten nachweisen, und Modifikationen wie Zahnfeilungen, Lippenteller oder ähnliche Modifikationen finden wir in den unterschiedlichsten Kulturräumen. Vor diesem Hintergrund ist die westliche wunscherfüllende Medizin nur ein weiterer, wenngleich besonders augenfälliger und moderner Ausdruck der Selbstgestaltung.

ClaudiaSie gesellt sich zu nichtinvasiven Gestaltungsmitteln wie der konventionellen Kosmetik, dem Bodybuilding und ‑shaping durch gezieltes körperliches Training, der körperformenden Unterwäsche (z.B. Korsett) oder der schmückenden Oberbekleidung. Alle genannten Maßnahmen verdanken sich letztlich der Natur des Menschen, der Conditio humana.

Doch die „Wunscherfüllende Zahnheilkunde“ hat auch konkrete Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Zahnarztberufs: So sahen Micheelis et al. in ihr die Gefahr, „Tendenzen einer „Vergewerblichung“ freizusetzen. […] Dies könnte gleichsam dann von „Innen“ den Wertekern des professionellen Berufsmodells bedrohen“ [11]. Tatsächlich besteht die Gefahr, dass die beschriebenen Tendenzen der „Vergewerblichung“ nicht nur das Selbstbild – das Selbstverständnis – der Berufsangehörigen, sondern langfristig auch das Fremdbild – das Image der Zahnärzte/-innen – nachhaltig verändern und zu einer Deprofessionalisierung – einem Verlust zentraler Merkmale und Privilegien der zahnärztlichen Profession – führen.

Wofür möchten Zahnärzte/-innen in der Öffentlichkeit stehen, was sollte sie ausmachen und was nicht? Besagte Fragen sind von erheblicher professioneller Bedeutung und können nur von der Zahnärzteschaft selbst beantwortet werden.


Literatur

1 Dieser Aufsatz fußt auf dem Beitrag Groß D. Ästhetik versus Kosmetik – die wunscherfüllende Zahnheilkunde in kritischer Sicht, Zahnmedizin up2date 2017; 11 (02): 207-222, dx.doi.org/10.1055/s-0042-116613

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Prof. Dr. Dr. Dr. Dominik Groß


Neu: das ePaper der ZMK ist jetzt interaktiv
Banner ZMK 1 2 red Box

Lesen Sie die ZMK jetzt digital mit vielen interaktiven Funktionen. Das ePaper erhalten Sie durch Abonnieren unseres kostenlosen Newsletters.