Allgemeine Zahnheilkunde


Bruxismus – die S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie

© prodente e.V.
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Zähneknirschen ist wie das Zähnepressen oder das Anspannen der Kiefer ohne Zahnkontakt eine wiederholte Aktivität der Kaumuskulatur, die man unter dem Begriff Bruxismus zusammenfasst. Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen. Nachfolgend erläutert Prof. Peroz, dass durch Früherkennung und Prävention von Bruxismus umfangreiche prothetische Rehabilitationen vermieden und das Entstehen einer Craniomandibulären Dysfunktion (CMD) verhindert werden kann.

Neue Erkenntnisse haben das Wissen und die Einstellung zu Bruxismus in den vergangenen 5 Jahren deutlich gewandelt. So wurde 2013 der Bruxismus in den Wach- und Schlafbruxismus unterteilt und 2018 schlussfolgerte eine internationale Forschergruppe, dass Bruxismus bei ansonsten Gesunden keine Krankheit darstellt. Es wurde jedoch auch deutlich, dass noch wenig über die Ursachen des Bruxismus bekannt ist und für den primären Bruxismus keine kausale Therapie verfügbar ist. Somit liegt der Fokus der Behandlung auf der Prävention von nichtkariösen Zahnhartsubstanzverlusten oder den Zerstörungen zahnärztlicher Rehabilitationen und der Prävention craniomandibulärer Dysfunktionen.

Ätiologie des Bruxismus

Bruxismus gilt heute als multifaktoriell bedingt. Emotionaler Stress, Angststörungen, Schlafstörungen (z.B. Insomnie), Nikotin-, Alkohol-, Koffein- und Drogenkonsum, Nebenwirkungen von Medikamenten oder genetische Einflüsse werden als Risikofaktoren gewertet, da sie häufiger mit Bruxismus assoziiert sind [2,6,14, 20,22,23,38,41,42,51–54,58,59,66]. Okklusale Faktoren spielen kaum mehr eine Rolle [44]. Störungen der statischen (Vorkontakte) oder dynamischen Okklusion (Gleithindernisse, tiefer Biss, retraler Zwangsbiss) galten lange Zeit als ursächliche Faktoren für Bruxismus. Es wurde angenommen, dass die Patienten durch knirschende Bewegungen des Unterkiefers versuchen, die störenden Kontakte zu beseitigen. Die Tatsache, dass korrigierendes Einschleifen Bruxismus nicht stoppen konnte, und die Erkenntnis, dass Störungen der Okklusion auch Folgen des Bruxismus sein können, führten zu einem Umdenken [42]. Der Wachbruxismus scheint eher psychologisch bedingt und eine zentralnervöse Störung ist ursächlich für den Schlafbruxismus. Dazu zählen Störungen im Bereich der Neurotransmitter oder inhibitorische Störungen im Hirnstamm [9,19,20,22,24,29,44,61,62]. Es wird diskutiert, dass Bruxismus eine stressabbauende Funktion hat [77]. Dies wäre eine Erklärung für eine physiologische Funktion des Bruxismus in Zusammenhang mit Stress.

Bruxismus kann aber auch ein Anzeichen für eine Erkrankung sein. So sind die Schlafapnoe [21] und der gastroösophageale Reflux häufig mit Bruxismus assoziiert [28,59]. Bei beiden Erkrankungen nimmt der Bruxismus eine protektive Funktion ein. Durch das Anspannen der Kaumuskeln werden die oberen Atemwege offengehalten, was bei schlafbezogenen Atmungsstörungen einen sinnvollen Effekt darstellt. Beim Reflux wird durch die Muskelaktivitäten der Speichelfluss angeregt, wodurch die aufsteigende Magensäure verdünnt wird.

Prävalenz des Bruxismus

Bruxismus tritt während der gesamten Lebensspanne auf und kann bereits mit dem Durchbruch der Milchzähne beginnen. Während es für Kinder keine Zahlen über die Häufigkeit des Wachbruxismus gibt, wird Schlafbruxismus mit äußerst unterschiedlicher Häufigkeit angegeben (3 bis 57%) [7,33,48,56, 71,82]. Diese große Varianz begründet sich in der diagnostischen Herangehensweise, die bei Kindern vorwiegend auf den Angaben der Eltern basiert und damit wenig verlässlich ist. Aus einer systematischen Literaturübersicht zur Prävalenz von Bruxismus bei Erwachsenen wird deutlich, dass Wachbruxismus häufiger vorkommt (22,1 bis 31%) als Schlafbruxismus (12,8 ± 3,1%) [57]. Auch in diesen Studien wird Bruxismus unterschiedlich diagnostiziert: mittels Selbstangabe und/oder der Angabe der Schlafpartner, gegebenenfalls kombiniert mit klinischer Untersuchung, über Elektromyografie oder über die Ableitung mittels Polysomnografie im Schlaflabor. Obwohl Bruxismus im Kindesalter ein hohes Risiko für Bruxismus im Erwachsenenalter darstellt [10,11], bedeutet das nicht, dass Bruxismus zeitlebens vorliegt. Das 2. und 3. Lebensjahrzehnt weisen die höchste Prävalenz auf; jedoch nimmt die Häufigkeit mit zunehmendem Alter ab [13,72].

Diagnostik des Bruxismus

Die frühzeitige Diagnosestellung ist wichtig, da durch geeignete Maßnahmen die Entwicklung oder die Zunahme klinischer Zeichen reduziert werden kann. Für den Wachbruxismus gibt es noch keine eindeutigen Kriterien aus Anamnese, Klinik oder Grenzwerte für EMG-Ableitungen, die diese Diagnose verifizieren können. Vergleicht man die anamnestischen Angaben der Patienten zum Schlafbruxismus mit polysomnografischen Untersuchungen, so korrelieren diese nicht [65,67]. Kombiniert man jedoch die Angaben mit klinischen Anzeichen (Abb. 1 bis 4), so ist bei positiven Anzeichen mit großer Wahrscheinlichkeit ein Bruxismus vorhanden. Daher sollten zur Diagnostik klinische Anzeichen mit oder ohne positive anamnestische Angaben gewertet werden (Tab. 1).

Abb. 1: Masseterhypertrophie.
Abb. 2: Attritionen im Frontzahnbereich, wodurch ca. ein Drittel der Zahnlänge verloren ging; Keramikabplatzung an der Krone 45.
Abb. 3: Linea alba im Panum buccale bedingt durch Wangensaugen.
Abb. 4: Zungenimpressionen durch Zungenpressen.
Tab. 1: Anamnestische und klinische Anzeichen für Bruxismus.

Im Rahmen der aktuellen Definition des Bruxismus (Tab. 2) wurde zudem festgelegt, welche Befunde einen möglichen, wahrscheinlichen oder definitiven Bruxismus begründen (Tab. 3) [43]. Die Deutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) hat zur Dokumentation ein entsprechendes Bruxismusscreening auf ihrer Homepage publiziert und zur Nutzung freigegeben (www.dgfdt.de; Abb. 5). Liegt ein wahrscheinlicher Bruxismus vor, so sollte ein Bruxismus-Status erhoben werden [39]. Dieser ermöglicht eine strukturierte Erfassung möglicher ätiologischer Faktoren, klinischer Befunde, eines Zahnverschleißscreenings sowie die Abklärung, ob weitere Untersuchungen hinsichtlich einer CMD notwendig sind. Der Bruxismus-Status wird aktuell überarbeitet und in Kürze auf der Homepage der DGFDT publiziert werden.

Tab. 2: Die Definition des Wach- und Schlafbruxismus [44].
Tab. 3: Graduierung des Bruxismus [42,44].
Abb. 5: Das Bruxismusscreening der DGFDT kann auf www.dgfdt.de downgeloadet werden.

Die Polysomnografie gilt zwar als Goldstandard zur Diagnostik des definitiven Schlafbruxismus [40,69]. Sie sollte aber aufgrund des hohen zeitlichen wie finanziellen Aufwandes eher den klinischen Studien vorbehalten bleiben oder von Schlafmedizinern bei Patienten mit Verdacht auf eine schlafbezogene Atmungsstörung eingesetzt werden. Eine Alternative stellen tragbare Elektromyografiegeräte dar, die sowohl zur Diagnostik des Schlafals auch des Wachbruxismus eingesetzt werden können [12,32, 49,60,76]. Derzeit fehlt es jedoch noch an Evidenz über die Einstellung von Schwellenwerten, die Muskelaktivitäten im Rahmen des Bruxismus von anderen Bewegungen (z.B. Schlucken, Grimassieren) abgrenzen können.

Eingefärbte Schienen sind dienlich, um das Bruxismusmuster zu dokumentieren. Sie werden jedoch für die Diagnostik kritisch bewertet, da sie durch ihre Dicke eine Veränderung der Muskelaktivität provozieren können [64]. Aktuell werden Anwendungen zur Selbstbeobachtung untersucht, unterstützt durch moderne Technologien, um den Wachbruxismus zu diagnostizieren. Sie haben sowohl diagnostischen als auch therapeutischen Wert [83].

Bruxismus und craniomandibuläre Dysfunktionen (CMD)

Der Begriff der CMD umfasst Schmerzen und/oder Dysfunktionen der Kaumuskulatur und/oder der Kiefergelenke und/oder Funktionsstörungen der Okklusion [30]. Davon zu unterscheiden sind temporomandibuläre Dysfunktionen (TMD) oder Myoarthropathien, die den Aspekt der Okklusion ausschließen.

Studienergebnisse, die auf experimentell erzeugtem Bruxismus basieren, konnten belegen, dass durch anhaltendes Kieferpressen akute Muskelschmerzen ausgelöst werden können [35,55]. Die seit 2014 eingeführten Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders (DC/TMD) ordnen unter die 6 häufigsten schmerzhaften temporomandibulären Dysfunktionen die „auf eine CMD zurückzuführenden Kopfschmerzen“ ein [70].

Studien, in denen Bruxismus anamnestisch oder anhand klinischer Zeichen erhoben wurde, belegen mehrheitlich einen Zusammenhang zwischen Bruxismus und CMD in Form von Kaumuskelschmerzen (Myalgie). Ihre Schwäche liegt darin, dass Bruxismus nicht sicher belegt ist. Studien, in denen die Polysomnografie zur Diagnostik eines definitiven Bruxismus eingesetzt wurde, zielen nur auf den Schlafbruxismus ab. 4 von 7 Studien, die in einer systematischen Literaturübersicht zusammengefasst werden, belegen einen Zusammenhang zwischen Schlafbruxismus und myogenen CMD (3 Studien) sowie arthrogenen Diagnosen (eine Studie) [35]. Daher kann geschlussfolgert werden, dass Bruxismus ein Risiko für die Entstehung von Schmerzen in der Kaumuskulatur, von schmerzhaften Dysfunktionen der Kiefergelenke und von Kopfschmerzen sein kann. Bruxismus kann sowohl prädisponierend, auslösend und/oder unterhaltend sein. Daher ist es sinnvoll, bei bestehender CMD mögliche Symptome und klinische Zeichen für Bruxismus zu identifizieren (Bruxismusscreening) [8,15,17, 35,73].

Behandlung des Bruxismus

Es wird vermieden, von einer „Therapie“ des Bruxismus zu sprechen, da es keine kausale Therapie für den primären Bruxismus gibt (Bruxismus ohne erkennbare Ursache). Man spricht daher von der Behandlung oder vom Management des Bruxismus. Informationstherapie, Monitoring Aufgrund fehlender kausaler Therapiemöglichkeiten kommt der Früherkennung und Prävention ein besonderer Stellenwert zu. Das bezieht die Beachtung klinischer Zeichen (Tab. 2) bzw. die standardisierte Erhebung mittels Bruxismusscreening (Abb. 1) mit ein. Schlifffacetten als klinische Hinweise auf Bruxismus zu werten, ist nicht sicher, da verschiedene Ursachen für nichtkariöse Zahnhartsubstanzverluste verantwortlich sein können. Die Bruxismusaktivitäten können Jahre zurückliegen. Es bleibt zudem unklar, ob sie fortschreiten oder stagnieren. Daher erweist sich ein Monitoring als sinnvoll, das bestehende okklusale Veränderungen dokumentiert. Das kann entweder mittels Fotos, Scans, Modellen oder der Erhebung des Zahnverschleißes anhand einer standardisierten, evaluierten Untersuchung wie dem Tooth Wear Evaluation System (TWES) geschehen [84].

Abb. 6: Selbstbeobachtung mittels rotem Markierungspunkt auf dem Handy.
© Prof. Dr. Ingrid Peroz
Die Aufklärung und Beratung der Patienten sind essenziell. Vielen Patienten ist gar nicht bewusst, dass sie an Bruxismus leiden, denn nicht in jedem Fall sind mit Bruxismus Beschwerden verbunden. Kleinere Läsionen an den Zähnen könnten – falls erforderlich – mit minimalinvasiven Techniken korrigiert werden und Okklusionsschienen sind zur Prävention weiterer Schäden gut evaluiert. Zudem sollten im Rahmen der Aufklärung als Informationstherapie mögliche Selbsthilfemaßnahmen beschrieben werden. Dazu zählen insbesondere die Selbstbeobachtung oder das Achtsamkeitstraining sowie die Progressive Muskelentspannung nach Jakobson. Damit sollen Patienten befähigt werden zu erkennen, in welchen Situationen sie zu Bruxismus neigen, und lernen, wie sie Muskelanspannungen vermeiden bzw. wie sie die Muskulatur lockern können. Optische Markierungen an Stellen, die die Patienten mehrfach am Tag anschauen werden (z.B. Bildschirm, Handy, Spiegel), eignen sich als Erinnerungshilfe (Abb. 6). Der Anblick der Markierung ist mit der Aufgabe verknüpft, die Aktivität der Muskulatur zu kontrollieren: Hängt der Unterkiefer entspannt? Sind die Zahnreihen außer Kontakt? Liegt die Zunge locker in der Mundhöhle? Sind die Wangen nicht angesaugt?

Daneben können Informationen zur Ätiologie des Bruxismus einfließen, die ggf. auf mögliche Auslöser hinweisen (Schlafstörungen, Nikotin, Alkohol, Koffein, Drogen, Medikamente). In einer randomisierten, kontrollierten Studie konnte zwar mittels Polysomnografie nicht nachgewiesen werden, dass die Anleitung zur Schlafhygiene sowie die forcierte Muskelentspannung einen Einfluss auf die Schlafqualität bzw. die Bruxismusaktivität hatten [80]. Dennoch kommen die Autoren zur Schlussfolgerung, dass auf Risikofaktoren hingewiesen werden sollte.

Reversible und irreversible okklusale Maßnahmen

Die einzige Empfehlung der „Leitlinie Diagnostik und Behandlung des Bruxismus“ mit einem starken Empfehlungsgrad (Grad A) lautet: „Zur kausalen Behandlung von Bruxismus sollen definitive okklusale Maßnahmen nicht eingesetzt werden.“ Aus funktionellen oder ästhetischen Gründen wird es in schweren Fällen nicht zu umgehen sein, umfassende definitive okklusale Maßnahmen vorzunehmen, um die Folgen des Bruxismus (z.B. nichtkariöser Zahnhartsubstanzverlust und/oder Verlust von Restaurationsmaterialien) auszugleichen. Definitive okklusale Maßnahmen unterliegen jedoch einem höheren biologischen und technischen Risiko, worüber Patienten aufgeklärt werden sollten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass vor Veränderung der Kieferrelation mittels Prothetik, Kieferorthopädie oder Kieferchirurgie funktionsanalytische Maßnahmen erfolgen sollten. Erfolgt die Veränderung mittels prothetischer Rehabilitation, so sollten Okklusionsschienen und/oder Langzeitprovisorien zur Simulation als Zwischenschritte eingeplant werden [5].

Reversible okklusale Maßnahmen werden primär zum Schutz der Zähne und/oder der prothetischen Rehabilitationen eingesetzt. Es zeigt sich, dass Schienen, unabhängig vom Typ, das Potenzial haben, die Bruxismusaktivität und Attrition zu reduzieren sowie Beschwerden im Sinne einer CMD zu verringern. Es konnte nachgewiesen werden, dass Schienen zu einer verringerten Muskelaktivität führen [34]. Dies korrespondierte mit einer signifikanten Verringerung der Muskelschmerzen. Es wird angenommen, dass Schienen eine Veränderung der neuromuskulären Reflexe verursachen. Die Rekrutierung von Muskelfasern wird neu eingestellt.

Der initial relaxierende Effekt ist jedoch nicht von Dauer (Abb. 7 und 8). Es wird daher empfohlen, Schienen intermittierend zu nutzen, anstatt regelhaft zu tragen [36].

Abb. 7: Äquilibrierungsschiene im Unterkiefer aus hartem Kunststoff mit Front-Eckzahnführung, sodass die Seitenzähne in dynamischer Okklusion diskludieren.
Abb. 8: Äquilibrierungsschiene nach 6-monatigem Gebrauch. Deutlich sind die Spuren des Abriebs auf der Schiene zu erkennen. Durch den Verlust der Eckzahnführung kommen nun auch Seitenzähne in dynamischer Okklusion in Kontakt.
Abb. 9: Horizontaler Front-Jig führt zwar zur Muskelentspannung, birgt aber das Risiko für Zahnelongationen.

Weiche Schienen führen ebenso wie harte Schienen zu einer Verringerung von Muskel- oder Gelenkschmerzen. Neben einer Aktivitätsminderung wurde jedoch auch eine Aktivitätssteigerung der Kaumuskelaktivität beobachtet, weshalb sie bei Bruxismus nicht empfohlen werden [45,47]. Sehr hohe Schienen (6 mm) waren weniger wirksam als niedrigere (3 mm) [50]. Angaben zur Gestaltung der Schienen in dynamischer Okklusion fehlen. Bimaxilläre, protrusiv eingestellte Schienen können ebenso wie ein horizontaler Front-Jig sehr effektiv die Muskelaktivität mindern [27,31,37,50,74]. Dennoch werden bimaxilläre Schienen nur für Patienten mit Bruxismus und schlafbezogener Atmungsstörung empfohlen, da sie selbst Auslöser von Beschwerden sein können und die Unterkieferlage möglicherweise irreversibel verändert wird. Für den horizontalen Front-Jig (Abb. 9) wird aufgrund der partiellen Bedeckung der Frontzähne eine reduzierte Tragedauer empfohlen, um ungewollte Zahnstellungsänderungen zu vermeiden [75].

Schienen können auch bei Kindern eingesetzt werden, jedoch nur in Phasen, in denen die Gebissentwicklung ruht (in dem ca. 2 Jahre dauernden Zeitfenster zwischen 1. und 2. Wechselgebissphase sowie nach vollständigem Durchbruch aller bleibenden Zähne außer den Weisheitszähnen) [81].

Pharmakologie

Bruxismus kann als Folge von Medikamenten auftreten und durch Veränderungen der Neurotransmitterfunktion getriggert werden. Daher könnte ein medikamentöser Einsatz zur Behandlung von Bruxismus möglich sein. Dennoch kann die systemische Gabe von Pharmaka derzeit weder für Kinder noch für Erwachsene empfohlen werden [1,25,45,46,63,85]. Die Evidenz basiert vorwiegend auf Studien mit geringer Fallzahl, kurzer Therapieanwendung oder standardisierter Dosierung. Die Wirkung ist sehr individuell und daher nicht vorhersagbar bei möglichen, nicht zu vernachlässigenden Nebenwirkungen. Die Injektion mit Botulinumtoxin scheint zur Behandlung des Bruxismus wirksam zu sein, da sie zur Reduktion von Schmerzen und zur Intensität der Kaumuskelaktivität führt. Die Anzahl der Bruxismusepisoden bleibt unverändert [18]. Offen sind jedoch Fragen zu den Zielmuskeln, zur Zahl der Injektionsorte und zur Dosierung und Verdünnung des Botulinumtoxins. Der „Off-Label-Use“ und berufsrechtliche Vorgaben sind ebenfalls zu beachten.

Physiotherapie

In Studien zur Physiotherapie werden verschiedenste Interventionen untersucht: Muskelübungen zur Stärkung der Mundöffner, Muskelstretching, Progressive Muskelentspannung nach Jakobson, Transkutane Elektro-Neuro-Stimulation (TENS) oder Biofeedback [3,78]. Die untersuchten Parameter zielen nicht immer darauf ab, den Einfluss der Interventionen auf die Muskelaktivität zu testen. Zielparameter sind auch die Schmerzintensität, die subjektive Einschätzung des Bruxismus oder die Mobilität des Unterkiefers. Einige Studien untersuchen direkt nach einer physiotherapeutischen Intervention, weshalb unklar bleibt, ob diese Veränderungen letztlich einen Einfluss auf den Bruxismus haben. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Einfluss der Physiotherapie auf die Bruxismusaktivität nicht gesichert ist. Einen Einfluss haben die Maßnahmen jedoch auf die muskulären Beschwerden, die durch den Bruxismus getriggert werden. Übungen zur Achtsamkeit und zur Progressiven Muskelentspannung werden bei Wachbruxismus empfohlen.

Biofeedback

Dem Biofeedback ist in der Leitlinie ein separates Kapitel gewidmet. Aktivitätsabhängig werden durch verschiedenste Geräte akustische, elektrische oder mechanische Impulse gesetzt, die den Patienten unterschwellig beeinflussen, die Muskelaktivität zu mindern. Nicht immer gelingt dies, sodass von Patienten insbesondere bei Vibrationsimpulsen oder akustischen Impulsen eine Störung des Nachtschlafs angegeben wird. Biofeedback kann sowohl bei Schlaf- als auch bei Wachbruxismus eingesetzt werden. Während der aktiven Phase der Therapie wird die Minderung der Muskelaktivität erreicht, Langzeiteffekte sind jedoch nicht belegt [26,36,50,83]. Daher kann bislang nur eine offene Empfehlung ausgesprochen werden.

Psychotherapie

Die Psychotherapie nutzt die Verfahren der Progressiven Muskelentspannung nach Jakobson, die kognitive Verhaltenstherapie [79] wie die Gewohnheitswahrnehmung, das Habit-Reversal- Training, das Selbstbehauptungstraining (bei Kindern) [68] und die massierte Therapie [4,16,45,50,72]. Gut evaluiert ist die Progressive Muskelentspannung nach Jakobson, die bereits unter den Interventionen der Aufklärung und der Physiotherapie Erwähnung fand. Für alle anderen Verfahren besteht derzeit keine ausreichende Evidenz, um eine Empfehlung zu geben.

Zusammenfassung

Da derzeit eine kausale Therapie des Bruxismus nicht besteht, ist das Hauptaugenmerk auf das frühzeitige Erkennen und auf prophylaktische Maßnahmen ausgerichtet. Dazu zählen die Aufklärung des Patienten, die Anleitung zur Selbstbeobachtung, das Erlernen von Entspannungstechniken wie der Progressiven Muskelentspannung nach Jakobson und die Anfertigung von Okklusionsschienen. Zudem können physiotherapeutische Maßnahmen bei bestehenden Beschwerden, die durch Bruxismus getriggert sind, erwogen werden, Biofeedback oder die Injektion von Botulinumtoxin. Es gilt, dadurch umfangreiche prothetische Rehabilitationen zu vermeiden und das Entstehen einer CMD zu verhindern.  

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Prof. Dr. Ingrid Peroz


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