Implantologie


Implantate – Trigger für chronische Entzündungen?

Abb. 1: Ergebnisse der Studie von Sterner et al.6, TNF-a-Ausshüttung auf Implantatmaterialien.
Abb. 1: Ergebnisse der Studie von Sterner et al.6, TNF-a-Ausshüttung auf Implantatmaterialien.

Chronische, entzündungsbedingte Krankheiten nehmen einen immer höheren Stellenwert ein. Das lässt sich nicht allein durch die Genetik erklären, so die Autorin des folgenden Beitrages. Auch die individuelle Empfindlichkeit auf Triggerfaktoren spielt eine bedeutende Rolle, wie sie u. a. in der dentalen Implantologie gegeben ist. Hier kann es bspw. bei Titanimplantaten aufgrund einer gesteigerten Makrophagentätigkeit zur Freisetzung proentzündlicher Zytokine kommen, die ihren Beitrag zu Periimplantitis und Implantatverlust liefern. Damit es nicht dazu kommt, wird in den folgenden Ausführungen die Vermeidung entzündungsfördernder Triggerfaktoren durch eine spezifische Diagnostik wie die des Titanstimulationstests und der Einsatz individuell verträglicher Werkstoffe empfohlen.

Entzündungskrankheiten sind die „Epidemie der Moderne“. Die chronischen, entzündungsbedingten Krankheiten nehmen einen immer höheren Stellenwert ein. Es ist unbestritten, dass die Aktivierung des Immunsystems den Schlüssel für nahezu alle systemischen Erkrankungen – direkt oder indirekt – darstellt. Die Genetik allein erklärt den rasanten Anstieg entzündlicher Erkrankungen nicht. Die individuelle Suszeptibilität (Empfänglichkeit) für Triggerfaktoren bestimmt das Ausmaß der Wechselwirkungen mit dem Organismus. Die moderne Medizin – so auch die allgemeine Zahnheilkunde und die dentale Implantologie – tragen ihren Teil dazu bei. Entzündungsfördernde Triggerfaktoren in der modernen Zahnmedizin sollten möglichst durch spezifische Diagnostik und Einsatz individuell verträglicher Werkstoffe vermieden werden. Seit mehr als 40 Jahren finden Implantate aus Reintitan mit rauen Oberflächen Anwendung, sie machen heute mehr als 95 % aller angewendeten Implantate aus. Die Erfolgsrate dieser Implantate konnte in der Vergangenheit als sehr gut beurteilt werden1. Titan gilt in der dentalen Implantologie als absolut biokompatibel und findet zunehmend Anwendung in der Orthopädie als Gelenkersatzmaterial. In den letzten Jahren wurde die Entwicklung von Periimplantitiden immer häufiger Gegenstand der implantologischen wissenschaftlichen Literatur und des klinischen Alltags. Hierbei wird in erster Linie der Biofilm als bakteriologische Ursache von Entzündungen betrachtet2,13. Gleichzeitig gibt es Beobachtungen zur sterilen Implantatlockerung beim orthopädischen Gelenkersatz, der aus Stabilitätsgründen in der Regel aus Titan-Aluminium-Vanadium-Legierungen hergestellt wird, die zu immunologischen Studien Anlass gaben.

Wenn Titan korrodiert

Als ein mit Sauerstoff stark reagierendes Metall, bildet Titan Oxidschichten auf seiner Oberfläche aus, die zur Passivierung führen und Schutz vor Korrosion bieten3. Ein Partikelabrieb wird durch eine raue Implantatoberfläche begünstigt4, die andererseits eine Osseointegration fördert. Eine Arbeitsgruppe der orthopädischen Universitätsklinik Charité in Berlin konnte nachweisen, dass unspezifische Entzündungen durch freigesetzte Titanpartikel aufgrund von Aktivierung der Gewebemakrophagen um Hüftgelenksimplantate entstehen können5 (Abb. 1). Bereits die mechanische Reibung beim Einbringen des Implantates als auch die Mikrobewegungen im Mikrometerbereich bei Belastung führen zum Abrieb der im Nanometerbereich liegenden dünnen Oxidschichten. Die oxidierten Abriebpartikel sind im umliegenden Knochengewebe nachweisbar. Der immunologische Mechanismus, der für eine mögliche periimplantäre Entzündung und einen konsekutiven Implantatverlust verantwortlich ist, wurde von Nakashima et al.6 dargestellt.

Da sich anorganische Implantatmaterialien in organischer Umgebung befinden, gelten hier die Grundlagen der chemischen (thermodynamischen) Gleichgewichtslehre für die anorganischen und die weitaus kompliziertere chemische Nicht-Gleichgewichtsthermodynamik für die organischen Strukturen7. Eine wichtige Tatsache ist, dass Titan im neutralen Medium, also bei pH-Werten um 7, in aerober Atmosphäre eine Oxidschicht aufbaut, die vor Korrosion schützt. Sinkt allerdings der pH-Wert und weist das umgebende biologische Milieu kein Oxidations- sondern ein Reduktionspotenzial auf, kann Titan keinen Oxidfilm bilden und es unterliegt der Korrosion. Derartige Bedingungen liegen bei Auftreten anaerober pathogener Bakterien im entzündeten periimplantären Sulcus vor, weil kein aktiver Sauerstoff mehr zur Verfügung steht und ein saures Milieu entsteht. Vor 20 Jahren entwickelte Repenning7 die Yttrium-freie keramische sogenannte Cerid-Schicht, deren (Zirkonium-)Ionenabgabe und „fretting“-Korrosion um Größenordnungen unter der von Titan liegt. Diese Beschichtung steht sowohl für die dentale Implantologie (Biocer) als auch für die orthopädischen Implantate zur Verfügung. Eine Entzündungsreaktion auf Zirkoniumoxidpartikel konnte in Studien der Arbeitsgruppe um Sterner 20068 nicht nachgewiesen werden, welche das immunologische Reaktionspotenzial auf Partikel von Titan, Aluminiumoxid und Zirkoniumdioxid untersuchte (Abb. 1).

Immunreaktionen durch Makrophagentätigkeit

Immunreaktionen auf Titan sind häufi ger als bisher angenommen, wobei im Fall des in der dentalen Implantologie verwendeten Reintitans nicht die allergenspezifische lymphozytäre Reaktion eine Rolle spielt, sondern die unspezifische makrophagozytäre Entzündungsreaktion. Physiologischerweise reagieren Makrophagen nach Kontakt mit Titanpartikeln mit einer Freisetzung proentzündlicher Zytokine, deren Ausmaß allerdings individuell verschieden ist. Die häufigste Ursache für Titan-induzierte Entzündungsreaktionen sind gesteigerte Abwehrreaktionen von Gewebemakrophagen (Osteoklasten, Bindegewebsmakrophagen) auf Titanpartikel in unmittelbarer Nähe zum Implantat. Partikelgrößen zwischen 1 und 5 ?m stellen einen Aktivierungsreiz für Makrophagen dar (Abb. 2). Mit der Aktivierung der Makrophagen ist eine Sekretion der proentzündlichen Schlüsselzytokine Tumor-Nekrose-Faktoralpha (TNF-a) und Interleukin 1-beta (IL1-b) verbunden. Eine Schlüsselrolle in der Osteoklastenaktivierung und dem damit einhergehenden Knochenabbau spielt auch der Ligand NFkB, welcher über die Expression von RANKL auf die knochenabbauenden Zellen stimulierend wirkt6.

  • Abb. 2: Entzündungsreaktion durch Titanpartikel.
  • Abb. 3: Bekannte, funktionelle relevante Zytokingenpolymorphismen.
  • Abb. 2: Entzündungsreaktion durch Titanpartikel.
  • Abb. 3: Bekannte, funktionelle relevante Zytokingenpolymorphismen.

  • Abb. 4: Befund Zykotinpolimorphismen Grad 4.
  • Abb. 4: Befund Zykotinpolimorphismen Grad 4.


Polymorphismen der Zytokingene

Das Ausmaß, mit dem die proentzündlichen Zytokine nach Kontakt mit Titanoxidpartikeln freigesetzt werden, ist individuell verschieden. Die Grundlage für übersteigerte Reaktionen liegen in individuell vorkommenden Polymorphismen in den Genen der proentzündlichen Schlüsselzytokine TNF-a, Interleukin-1 und des antientzündlichen Gegenspielers IL-1RA9. Diese prädisponierenden Konstellationen scheinen mit einer Häufigkeit von ca. 15 bis 20 % in der Bevölkerung vorzukommen10 (Abb. 3). Es ist bekannt, dass Patienten mit High-Responder-Genstatus eine erhöhte Empfindlichkeit für parodontale und periimplantäre Entzündungen aufweisen. Wie die Arbeitsgruppe um Kornman11 darstellte, sind IL-1-Genpolymorphismus und Rauchen Risikofaktoren für periimplantären Knochenverlust bei dentalen Implantaten.

Genpolymorphismen entscheiden über Ausmaß der Zytokinfreisetzung

Mit dem molekularbiologischen Test aus Blut- oder Schleimhautzellen ist eine Graduierung der Entzündungsneigung von Normo-Responder (Grad 0) bis zu den überentzündlich reagierenden HighRespondern (Grad 3 und 4) möglich (Abb. 4).
TNF-a und IL-1 sind Schlüsselmediatoren für die systemische Entzündung. Die Ausschüttung der Zytokine TNF-a und IL-1 hat daher nicht nur lokale, sondern auch systemische Auswirkungen. Als proentzündliche „Alarmzytokine“ initiieren sie komplexe Immunreaktionen.
Alle durch die genannten Zytokine vermittelten Effekte dienen der Effizienz einer gesteigerten Immunantwort bei der Abwendung einer Gefahr für den Organismus (akute Infektion). Dies ist im Fall einer bakteriellen Infektion als Auslöser sehr sinnvoll, wohl aber kaum bei Titanoxidpartikelinduzierter Immunreaktion.

Titanstimulationstest: Nachweis der immunologischen Reaktion

Der Nachweis einer immunologischen Reaktion auf Titan kann durch den Titanstimulationtest im Institut für Medizinische Diagnostik in Berlin (IMD-Berlin) durchgeführt werden (Abb. 5). Dieser Test wurde 2006 speziell für diese Fragestellung entwickelt12 und kann sowohl vor einer Implantation eine wesentliche Entscheidungshilfe sein als auch bei kurativen Fragestellungen nach einer Implantation. Bei einer Titan-induzierten Entzündungsneigung handelt es sich um eine angeborene Reaktion, die im Gegensatz zur Allergie keinen Erstkontakt benötigt, bevor sie im Labortest nachweisbar ist. Bei diesem Vollblutstimulationstest wird eine übersteigerte Aktivität ausdifferenzierter Makrophagen nach zweistündigem Kontakt mit standardisierten Titanpartikeln durch Messung von TNF-a und IL-1 im Zellüberstand gemessen. Da es sich um einen funktionellen Test handelt, können zusätzliche Reizfaktoren die Höhe des Ergebnisses quantitativ beeinflussen, allerdings bleibt die qualitative Aussage erhalten.
Bei Patienten mit positivem Befund reagieren die Makrophagen im Implantationsgebiet auf frei werdende Titanpartikel hyperaktiv und induzieren zunächst eine lokale, später aber auch systemische Entzündung. Zentralnervöse Effekte wie Fieber, grippeähnliche Symptome, Fatigue, Gelenk-, Muskel- und Gliederschmerzen können auftreten und werden in aller Regel nicht mit einem Titanimplantat oder einer Periimplantitis in Zusammenhang gebracht (Abb. 6).
Ein Lymphozytentransformationstest (LTT) auf Titan ist nur in Ausnahmefällen und allenfalls zusätzlich zum Titanstimulationstest zielführend, da Typ-IV-Sensibilisierungen auf Titan eine Rarität darstellen. Oxidierte Titanpartikel sind im Gegensatz zu Metallionen unter physiologischen Bedingungen nicht mehr zur Bildung von Metall-Protein-Komplexen (Haptenen) fähig. In einigen Titanimplantaten und in der Regel in allen prothetischen Aufbaustrukturen sind geringe Mengen von Nickel, Vanadium oder Aluminium enthalten; hierauf sind Sensibilisierungen im LTT nachweisbar. Mit diesem Test können ebenso mögliche Sensibilisierungen auf Legierungsmetalle der Suprakonstruktionen und auf Befestigungszemente nachgewiesen werden (Abb. 7).

  • Abb. 5: Titanstimulstionstest.
  • Abb. 6: Effekte von TNF-a und IL-1 auf Zielzellen.
  • Abb. 5: Titanstimulstionstest.
  • Abb. 6: Effekte von TNF-a und IL-1 auf Zielzellen.

  • Abb. 7: Ergebnis eines Lymphozytentransformationstests.
  • Abb. 8: Befund Titanstimulation und Genpolymorphismus.
  • Abb. 7: Ergebnis eines Lymphozytentransformationstests.
  • Abb. 8: Befund Titanstimulation und Genpolymorphismus.

Korrelation zwischen positivem Test und Genkonstellationen

Neben den bis dato verdächtigten Ursachen für Periimplantitis und vorzeitigem Implantatverlust wie Entzündung durch mangelnde Mundhygiene oder ein ungenügendes Operationsprotokoll indizieren die dargelegten immunologischen Mechanismen einen weiteren kausalen Faktor zur Entstehung einer Titan-assoziierten Entzündungsreaktion.
Zur klinischen Evaluation der Fragestellung wurde von einem Umwelt-zahnmedizinischen Arbeitskreis innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Umwelt-Zahnmedizin (DGUZ) ein Studiendesign erarbeitet.
Durch eine retrospektive Praxisstudie in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizinische Diagnostik in Berlin zur Erfassung immunologischer Parameter an über 100 Patienten mit Implantatlangzeiterfolgen und Implantatverlusten bzw. Periimplantitis konnten signifikante Unterschiede zwischen den Patienten mit auffälligen Zytokin-Genkonstellationen (High-Responder-Risikopatienten) und den Normo-Respondern evaluiert werden.
Es galt bei den Untersuchungen herauszufinden, ob genetisch determinierte Entzündungsneigung und Titan-assoziierte unspezifische Entzündungen aussagefähige prädiktive Parameter sind. Folgende Aussagen konnten aus den Ergebnissen abgeleitet werden: Patienten mit Implantatverlust oder Periimplantitis zeigen signifikant häufiger höher gradige genetische Entzündungsprädispositionen sowie deutlich erhöhte positive Titanstimulationstests (Abb. 8). Es findet sich eine über 90 %ige Korrelation von deutlich positivem Stimulationstest und High-Responder-Gentyp. Die Publikation zu dieser Studie wird derzeit erstellt.

Fazit

Schlussfolgernd kann ein präimplantologisches Screening zur Risikoabwägung bei Patienten mit bestehenden chronisch entzündlichen Grunderkrankungen und anderen Risikofaktoren empfohlen werden. Dies sollte vor allem dann erfolgen, wenn Alternativen anstelle von Titan gegeben sind. Ein positiver Stimulationstest stellt für sich allein aber noch keine absolute Kontraindikation für ein Titanimplantat dar, da es sich nicht um eine Allergie handelt. Eine kritische Prüfung möglicher Alternativen sowie die Intensivierung anderer Maßnahmen (Raucherentwöhnung, intensivierte Prophylaxe, schonende Einbringung) sollte bei einer gesteigerten individuellen genetischen Entzündungsneigung vorgenommen werden.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Elisabeth Jacobi-Gresser

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Elisabeth Jacobi-Gresser


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